Insiderrecht – Verwendungsverbot

In diesem Beitrag zum Insiderrecht soll auf das Verwendungsverbot des Art. 14 lit. a) MAR eingegangen werden, wonach das Tätigen eines Insidergeschäfts und eines Versuchs verboten ist.

1. Einführung

Art. 14 MAR ordnet an, dass nachfolgende Handlungen verboten sind,

Die MAR – eine unmittelbar anwendbare europäische Verordnung – regelt die Insiderhandelsverbote. Das (deutsche) WpHG enthält demgegenüber lediglich Vorschriften, die die MAR ergänzen und vor allem die strafrechtlichen, verwaltungsrechtlichen und zivilrechtlichen Folgen regeln (vgl. Poelzig, Kapitalmarktrecht, 2. Auflage, München 2021, Rn. 355). Ein Verstoß gegen die Insiderbestimmungen ist etwa unter bestimmten Voraussetzungen strafbar (§ 119 Abs. 3 WpHG i.V.m. Art. 14 MAR ). Zur Überwachung des Insiderhandels sind die Emittenten verpflichtet, sog. Insiderlisten zu führen (Art. 18 MAR).

Der MAR liegt dabei das Marktortprinzip zugrunde (Art. 2 Abs. 3 und 4 MAR). Das bedeutet, das die MAR die auf europäischen Märkten gehandelten Finanzinstrumente schützt. Wo die Handlung oder Unterlassung vorgenommen wird, ist daher nicht entscheidend, solange sie sich auf Finanzinstrumente auswirkt, die innerhalb der EU gehandelt werden (vgl. Poelzig, a.a.O., Rn. 357).

2. Tätigen von Insidergeschäften (Art. 14 lit. a) MAR)

Das Tätigen von Insidergeschäften und der Versuch hierzu sind verboten.

a. Insidergeschäft (Art. 8 Abs. 1 MAR)

Ein Insidergeschäft liegt vor, wenn eine Person über Insiderinformationen verfügt und unter Nutzung derselben für eigene oder fremde Rechnung direkt oder indirekt Finanzinstrumente, auf die sich die Informationen beziehen, erwirbt oder veräußert (Art. 8 Abs. 1  S. 1 MAR, Grundtatbestand des Insidergeschäfts).

Ein Insidergeschäft liegt auch vor, wenn ein Auftrag in Bezug auf ein Finanzinstrument, auf das sich die Information bezieht, storniert oder geändert wird, wenn der Auftrag vor Erlangen der Insiderinformation erteilt wurde (Art. 8 Abs. 1 S. 2 MAR).

Die Voraussetzungen des Grundtatbestands des Insidergeschäfts sind:

aa. Vorliegen einer Insiderinformation (Art. 7 MAR)

Eine Insiderinformation ist nach dem Grundfall des Art. 7 Abs. 1 lit. a) MAR eine nicht öffentlich bekannte präzise Information, die direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betrifft und die, wenn sie öffentlich bekannt würde, geeignet wäre, den Kurs dieser Finanzinstrumente oder den Kurs damit verbundener derivativer Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen.

Die Tatbestandsmerkmale der Insiderinformation sind danach:

  • Nicht öffentlich bekannte präzise Information: Der Begriff der präzisen Information erfasst Tatsachen, aber auch überprüfbare Werturteile, Einschätzungen, Absichten, Prognosen und sogar Gerüchte, deren Eintrittswahrscheinlichkeit i.S.v. Art. 7 Abs. 2 MAR hinreichend groß (i.S.e. überwiegenden Wahrscheinlichkeit, 50 % + x) sind. Ein Zwischenschritt (z.B. der Abschluss eines Letter of Intend im Rahmen eines Unternehmenskaufs) in einem gestreckten Vorgang wird als eine Insiderinformation betrachtet, falls er für sich genommen die Kriterien der Insiderinformation erfüllt (Art. 7 Abs. 3 MAR). Eine unwahre Information ist dabei keine Insiderinformation. Eine Information ist erst dann öffentlich bekannt gemacht, wenn sie einer breiten Anlegeröffentlichkeit zugänglich gemacht wurde (z.B. überregionale Presse und Massemedien, wie z.B. Internet). Nicht ausreichend ist die Bekanntgabe einer Information anlässlich einer Hauptversammlung des Emittenten, da dort nur Aktionäre und nicht alle Anleger teilnehmen können.
  • Emittenten- oder Wertpapierbezug: Die Insiderinformation muss direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten (sog. Emittentenbezug) oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betreffen (sog. Wertpapierbezug). Ein Emittentenbezug ist anzunehmen, wenn sich die Insiderinformation auf die Vermögens, Finanz- oder Ertragslage (z.B. Quartalszahlen, Gewinn- oder Verlustmitteilung) oder auf die (personelle) Organisation des Emittenten (z.B. wichtige Personalentscheidung) auswirken kann. Demgegenüber ist ein Wertpapierbezug immer dann anzunehmen, wenn der Handel des betreffenden Wertpapiers des Emittenten betroffen ist (z.B. Übernahmeangebot eines anderen Unternehmens, bevorstehende Kursaussetzung, Kurspflegemaßnahmen). Für den erforderlichen Emittenten- oder Wertpapierbezug ist es gleichgültig, ob die präzise Information aus dem Tätigkeitsbereich des Emittenten stammt oder nicht. Dieses Tatbestandsmerkmal ist auch bei den Emittenten nur mittelbar treffenden Umständen (z.B. Veränderung der Devisenkurse oder der Rohstoffpreise in der Branche des Emittenten) gegeben.
  • Kursrelevanz der Information: Für die weiter erforderliche Kursrelevanz kommt es darauf an, ob ein sog. verständiger Anleger die Information bei seiner Anlageentscheidung berücksichtigen würde. Dieser subjektive Ansatz (sog. Anreiztheorie) verbietet die Bestimmung der Kursrelevanz anhand fester Schwellenwerte oder anhand der üblichen Volatilität des Insiderpapiers (vgl. Art. 7 Abs. 4 MAR). Das Tatbestandsmerkmal der Erheblichkeit stellt in diesem Zusammenhang sicher, dass eine Information, die nur ein geringes Kursbeeinflussungspotential hat, nicht zu einer Insiderinformation wird. Ob sich der Kurs tatsächlich bewegt, ist für die Kursrelevanz indes unerheblich. Die tatsächliche Kursbewegung bei Bekanntwerden der Insiderinformation stellt aber regelmäßig ein gewichtiges Indiz für die Kursrelevanz dar (vgl. Poelzig, a.a.O., Rn. 386).
bb. Erwerb oder Veräußerung eines Finanzinstruments

Das Insiderhandelsverbot setzt weiter voraus, dass ein Insidergeschäft mit einem Finanzinstrument getätigt wird. Bei dem Erwerb oder bei der Veräußerung des Finanzinstruments kommt es auf den Abschluss des schuldrechtlichen Geschäfts an (vgl. Poelzig, a.a.O., Rn. 405).

Finanzinstrumente i.S.v. Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 MAR unterfallen gem. Art. 2 Abs. 1 MAR dem Anwendungsbereich der MAR, wenn sie

  • zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen oder ein Zulassungsantrag gestellt,
  • an einem multilateralen Handelssystem (MTF) gehandelt oder ein Zulassungsantrag gestellt,
  • in einem organisierten Handelssystem (OTF) gehandelt,
  • nicht an einem Markt gehandelt, aber deren Wert von dem Kurs eines anderen, an einem Markt gehandelten Finanzinstruments abhängt oder sich darauf auswirkt.
cc. Nutzung der Insiderinformation für eigene oder fremde Rechnung

Das Insiderhandelsverbot erfasst sowohl den Fall, dass das Insidergeschäft dem Insider selbst wirtschaftlich zugutekommt als auch den Fall, dass das Insidergeschäft einem Dritten (z.B. Verwandten, Freund) wirtschaftlich einen Vorteil verschafft. Das Tatbestandsmerkmal „unter Nutzung“ verlangt, dass die Insiderinformation den Abschluss des Geschäfts beeinflusst hat (vgl. Poelzig, a.a.O., Rn. 406).

Nicht erforderlich ist hingegen, dass der Insider tatsächlich einen wirtschaftlichen Vorteil erzielt hat, d.h. ob sich das Geschäft für ihn am Ende tatsächlich gelohnt hat. Der strafbare Vorteil des Insiders liegt bereits darin, dass er aufgrund der Information das Geschäft tätigen konnte (vgl. Poelzig, a.a.O., Rn. 407).

b. Insidereigenschaft (Art. 8 Abs. 4 MAR)

Adressaten des Insiderhandelsverbots sind die in Art. 8 Abs. 4 MAR genannten Personen, die jeweils über Insiderinformationen verfügen (d.h. positiv kennen müssen).

  • Primärinsider zeichnen sich dadurch aus, dass sie auf besonderem Weg Zugang zu Insiderinformationen haben (z.B. Vorstandsmitglied des Emittenten, Großaktionäre des Emittenten, Rechtsanwälte oder Wirtschaftsprüfer des Emittenten).
  • Sekundärinsider erlangen die Insiderinformation nicht aufgrund ihrer beruflichen Stellung, sondern mehr oder weniger zufällig (z.B. Vorstandsmitglied des Emittenten bekommt zufällig Kenntnis von einer Insiderinformation beim Abendessen mit Freunden).

Die Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärinsider ist für den subjektiven Tatbestand maßgeblich: Primär- und Sekundärinsider müssen jeweils über Insiderinformationen verfügen (d.h. positiv kennen). Für Sekundärinsider ist darüber hinaus notwendig, dass sie wissen oder hätten wissen müssen, dass es sich um eine Insiderinformation handelt (Art. 8 Abs. 4 MAR).

c. Ausnahme: Legitime Handlungen (Art. 9 MAR)        

Ein Insidergeschäft liegt nicht vor, wenn sich die natürliche oder juristische Person auf einen Ausnahmetatbestand des Art. 9 MAR berufen kann.

Die praktisch wichtigsten Ausnahmetatbestände sind:

  • die juristische Person (z.B. der Emittent eines Finanzinstruments) hat angemessene interne Regelungen und Verfahren zur Vermeidung von Insiderhandel umgesetzt (Art. 9 Abs. 1 MAR, z.B. Chinese Walls oder Ethical Screens),
  • ein rechtmäßiges Handeln eines Market-Makers, einer rechtmäßig handelnden Gegenpartei oder einer rechtmäßig handelnden Person, die zur Ausführung von Aufträgen Dritter zugelassen ist (Art. 9 Abs. 2 MAR) (Anmerkung: sog. Market-Maker garantieren den fortlaufenden börslichen Handel, indem sie während des Börsenhandels jederzeit sog. Quotes (d.h. Geld- (Kauf-) und Brief- (Verkauf-) Kurse) stellen und damit auf eigene Rechnung Finanzinstrumente für den eigenen Bestand erwerben oder aus eigenem Bestand liefern),
  • bloße Ausführungsgeschäfte, die lediglich der Erfüllung einer fälligen vertraglichen oder gesetzlichen Verpflichtung dienen, die bereits vor Erhalt der Insiderinformation entstanden ist (Art. 9 Abs. 3 MAR),
  • Nutzung von Insiderinformationen im Zuge eines öffentlichen Übernahmeangebots (Art. 9 Abs. 4 MAR),
  • Nutzung von Insiderinformationen zur Umsetzung eigener Entscheidungen (Art. 9 Abs. 5 MAR).

3. Rechtsfolgen

Im Hinblick auf Rechtsfolgen ist zwischen den straf- und zivilrechtlichen Rechtsfolgen zu unterscheiden:

a. Strafrechtliche Rechtsfolgen

Jeder vorsätzliche Verstoß gegen eine Insiderhandelsverbot i.S.d. Art. 14 MAR begründet eine Strafbarkeit gem. § 119 Abs. 3 WpHG. Es ist nur vorsätzliches Verhalten strafbar.

Leichtfertige Insiderverstöße begründen gem. § 120 Abs. 14 WpHG i.V.m. § 119 Abs. 3 WpHG eine Ordnungswidrigkeit. Leichtfertig handelt dabei, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in grobem Maße außer Acht lässt und einfachste, nahe liegende Überlegungen unterlässt (vgl. Poelzig, a.a.O., Rn. 474).

b. Zivilrechtliche Rechtsfolgen

Das unter Nutzung einer Insiderinformation abgeschlossene Geschäft ist wirksam und nicht gemäß § 134 BGB nichtig. Grund hierfür ist, dass nur der Insider und regelmäßig nicht auch dessen Vertragspartner gegen das Insiderrecht verstößt (vgl. Poelzig, a.a.O., Rn. 479).

Auch eine Schadensersatzhaftung gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 14 MAR kommt nach richtiger h.M. nicht in Betracht. Art. 14 MAR kommt keine Schutzgesetzqualität zu und der Gesetzgeber hat – anders in den §§ 97 ff. WpHG – insoweit auf eine spezialgesetzliche Haftung verzichtet.

Schließlich scheidet eine Schadensersatzhaftung gem. § 826 BGB regelmäßig auch aus, weil allein der Verstoß gegen Art. 14 MAR noch keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung i.S.v. § 826 BGB begründet.

Dr. Ingo Janert (Stand: 31. Juli 2024, Bild von Dariusz Sankowski auf Pixabay)