Unterscheidung der kapitalmarktrechtlichen Pflichten nach Handelsplatz

Kapitalmarktrechtliche Pflichten abhängig vom Handelsplatz
Die kapitalmarktrechtlichen Pflichten sind abhängig vom Handelsplatz.

In diesem Beitrag sollen die kapitalmarktrechtlichen Pflichten danach unterschieden werden, auf welchem Handelsplatz die Finanzinstrumente gehandelt werden, also z.B. über eine Börse oder über ein multilaterales Handelssystem (MTF).

Zum besseren Verständnis ist es sinnvoll, zunächst einmal den Begriff des Finanzinstruments zu verstehen und sich danach ein Überblick über die gesetzlichen Marktsegmente zu verschaffen. Auf der Grundlage dieses Verständnisses können die kapitalmarktrechtlichen Pflichten je nach Marktsegment wie folgt unterschieden werden:

1. Kapitalmarktrechtliche Grundpflichten im Multilateralen Handel

Die wesentlichen kapitalmarktrechtlichen Pflichten im multilateralen Handel sind abhängig von dem jeweiligen Handelsplatz, auf dem die Finanzinstrumente gehandelt werden.

Pflichten nach MarktsegmentRegulierter Markt (§§ 32 ff. BörsG)Multilaterale Handelssysteme (MTF)Organisierte Handelssysteme (OTF)
Prospektpflicht (Art 3 ProspektVO)(+), da es sich beim Regulierten Markt um einen „geregelten Markt“ i.S.v. Art. 3 Abs. 3 ProspektVO i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Nr. 21 Finanzmarktrichtlinie handelt.(+), wenn ein öffentliches Angebot der Wertpapiere erfolgt (Art. 3 Abs. 1 ProspektVO). Keine Prospektpflicht gem. Art. 3 Abs. 3 ProspektVO, da MTF kein „geregelter Markt“ i.S.v. Art. 3 Abs. 3 ProspektVO i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Nr. 21 Finanzmarktrichtlinie sind.(+), wenn ein öffentliches Angebot der Wertpapiere erfolgt (Art. 3 Abs. 1 ProspektVO). Keine Prospektpflicht gem. Art. 3 Abs. 3 ProspektVO, da OTF kein „geregelter Markt“ i.S.v. Art. 3 Abs. 3 ProspektVO i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Nr. 21 Finanzmarktrichtlinie sind.
Verbot von Insidergeschäften und unrechtmäßiger Offenlegung von Insiderinformationen (Art. 14 MAR)  (+), da MAR gem. Art. 2 Abs. 1 lit. a MAR für geregelten Markt gilt. Vgl. Definition geregelter Markt: Art. 3 Abs. 1 Nr. 6 MAR i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Nr. 21 Finanzmarktrichtlinie(+), da MAR gem. Art. 2 Abs. 1 lit. b MAR für multilaterale Handelssysteme gilt. Vgl. Definition multilaterale Handelssysteme: Art. 3 Abs. 1 Nr. 7 MAR i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Nr. 22 Finanzmarktrichtlinie(+), da MAR gem. Art. 2 Abs. 1 lit. c MAR für organisierte Handelssysteme gilt. Vgl. Definition organisierte Handelssysteme: Art. 3 Abs. 1 Nr. 8 MAR i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Nr. 23 Finanzmarktrichtlinie  
Ad-hoc-Publizität (Art. 17 MAR)(+), da MAR gem. Art. 2 Abs. 1 lit. a MAR für geregelten Markt gilt. Vgl. Definition geregelter Markt: Art. 3 Abs. 1 Nr. 6 MAR i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Nr. 21 Finanzmarktrichtlinie(+), da MAR gem. Art. 2 Abs. 1 lit. b MAR für multilaterale Handelssysteme gilt. Vgl. Definition multilaterale Handelssysteme: Art. 3 Abs. 1 Nr. 7 MAR i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Nr. 22 Finanzmarktrichtlinie(+), da MAR gem. Art. 2 Abs. 1 lit. b MAR für multilaterale Handelssysteme gilt. Vgl. Definition multilaterale Handelssysteme: Art. 3 Abs. 1 Nr. 7 MAR i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Nr. 22 Finanzmarktrichtlinie  
Verbot der Marktmanipulation (Art. 15 MAR)(+), da MAR gem. Art. 2 Abs. 1 lit. a MAR für geregelten Markt gilt. Vgl. Definition geregelter Markt: Art. 3 Abs. 1 Nr. 6 MAR i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Nr. 21 Finanzmarktrichtlinie(+), da MAR gem. Art. 2 Abs. 1 lit. b MAR für multilaterale Handelssysteme gilt. Vgl. Definition multilaterale Handelssysteme: Art. 3 Abs. 1 Nr. 7 MAR i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Nr. 22 Finanzmarktrichtlinie(+), da MAR gem. Art. 2 Abs. 1 lit. b MAR für multilaterale Handelssysteme gilt. Vgl. Definition multilaterale Handelssysteme: Art. 3 Abs. 1 Nr. 7 MAR i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Nr. 22 Finanzmarktrichtlinie  
Veröffentlichung von Stimmrechtsanteilen (§§ 33 ff. WpHG)(+), weil es sich um einen Emittenten handelt, „für den die Bundesrepublik Deutschland der Herkunftsstaat“ ist (§ 33 Abs. 1 S. 1 WpHG). Emittenten, für den die Bundesrepublik Deutschland der Herkunftsstaat ist“, sind gem. § 2 Abs. 13 WpHG Emittenten, deren Wertpapiere an einem „organisierten Markt“ i.S.v. § 2 Abs. 11 WpHG gehandelt werden. Der Regulierte Markt (§§ 33 ff. BörsG) ist ein solcher organisierter Markt.  (-), es sich gem. § 33 Abs. 1 S. 1 WpHG nicht um einen Emittenten handelt, „für den die Bundesrepublik Deutschland der Herkunftsstaat ist“. Die an einem MTF gehandelten Wertpapiere werden nicht an einem organisierten Markt i.S.v. § 2 Abs. 13 WpHG i.V.m. § 2 Abs. 11 WpHG gehandelt.(-), es sich gem. § 33 Abs. 1 S. 1 WpHG nicht um einen Emittenten handelt, „für den die Bundesrepublik Deutschland der Herkunftsstaat ist“. Die an einem OTF gehandelten Wertpapiere werden nicht an einem organisierten Markt i.S.v. § 2 Abs. 13 WpHG i.V.m. § 2 Abs. 11 WpHG gehandelt.
Anwendung der Vorschriften des Übernahmerechts (WpÜG) auf Angebote zum Erwerb von Anteilen an einer Zielgesellschaft(+), wenn die Aktien der Zielgesellschaft an einem „organisierten Markt“ (§ 1 Abs. 4 WpÜG) zugelassen sind. Der Regulierte Markt (§§ 33 ff. BörsG) ist ein solcher organisierter Markt i.S.v. § 2 Abs. 7 WpÜG.(-), wenn die Aktien der Zielgesellschaft nur auf einem MTF gehandelt werden. Ein MTF ist kein „organisierter Markt“ i.S.v. § 1 Abs. 4 WpÜG i.V.m. § 2 Abs. 7 WpÜG.(-), wenn die Aktien der Zielgesellschaft nur auf einem MTF gehandelt werden. Ein OTF ist kein „organisierter Markt“ i.S.v. § 1 Abs. 4 WpÜG i.V.m. § 2 Abs. 7 WpÜG.

2. Kapitalmarktrechtliche Grundpflichten im bilateralen Handel

Im bilateralen Handel werden die nachfolgenden kapitalmarktrechtlichen Grundpflichten je nach Handelsplatz unterschieden:

Pflichten nach MarktsegmentSystematische Internalisierung (SI)Over-the-Counter-Geschäfte (OTC)
Prospektpflicht nach Art 3 ProspektVO(+), wenn ein öffentliches Angebot der Wertpapiere erfolgt (Art. 3 Abs. 1 ProspektVO).(+), wenn ein öffentliches Angebot der Wertpapiere erfolgt (Art. 3 Abs. 1 ProspektVO). Keine Prospektpflicht gem. Art. 3 Abs. 3 ProspektVO, da der OTC-Handel kein „geregelter Markt“ i.S.v. Art. 3 Abs. 3 ProspektVO i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Nr. 21 Finanzmarktrichtlinie ist.
Verbot von Insidergeschäften und unrechtmäßiger Offenlegung von Insiderinformationen (Art. 14 MAR)(+), wenn der Kurs oder Wert des Finanzinstruments von dem Kurs oder Wert eines Finanzinstruments abhängt oder sich darauf auswirkt, das im geregelten Markt, in einem multilateralen Handelssystem (MTF) oder in einem organisierten Handelssystem (OTF) gehandelt wird (Art. 2 Abs. 1 lit. d MAR).(+), wenn der Kurs oder Wert des Finanzinstruments von dem Kurs oder Wert eines Finanzinstruments abhängt oder sich darauf auswirkt, das im geregelten Markt, in einem multilateralen Handelssystem (MTF) oder in einem organisierten Handelssystem (OTF) gehandelt wird (Art. 2 Abs. 1 lit. d MAR).  
Ad-hoc-Publizität (Art. 17 MAR)(+), wenn der Kurs oder Wert des Finanzinstruments von dem Kurs oder Wert eines Finanzinstruments abhängt oder sich darauf auswirkt, das im geregelten Markt, in einem multilateralen Handelssystem (MTF) oder in einem organisierten Handelssystem (OTF) gehandelt wird (Art. 2 Abs. 1 lit. d MAR).(+), wenn der Kurs oder Wert des Finanzinstruments von dem Kurs oder Wert eines Finanzinstruments abhängt oder sich darauf auswirkt, das im geregelten Markt, in einem multilateralen Handelssystem (MTF) oder in einem organisierten Handelssystem (OTF) gehandelt wird (Art. 2 Abs. 1 lit. d MAR).  
Verbot der Marktmanipulation (Art. 15 MAR)(+), wenn der Kurs oder Wert des Finanzinstruments von dem Kurs oder Wert eines Finanzinstruments abhängt oder sich darauf auswirkt, das im geregelten Markt, in einem multilateralen Handelssystem (MTF) oder in einem organisierten Handelssystem (OTF) gehandelt wird (Art. 2 Abs. 1 lit. d MAR).(+), wenn der Kurs oder Wert des Finanzinstruments von dem Kurs oder Wert eines Finanzinstruments abhängt oder sich darauf auswirkt, das im geregelten Markt, in einem multilateralen Handelssystem (MTF) oder in einem organisierten Handelssystem (OTF) gehandelt wird (Art. 2 Abs. 1 lit. d MAR).  
Veröffentlichung von Stimmrechtsanteilen (§§ 33 ff. WpHG)(-), es sich gem. § 33 Abs. 1 S. 1 WpHG nicht um einen Emittenten handelt, „für den die Bundesrepublik Deutschland der Herkunftsstaat ist“. Die von einem SI gehandelten Wertpapiere werden nicht an einem organisierten Markt i.S.v. § 2 Abs. 13 WpHG i.V.m. § 2 Abs. 11 WpHG gehandelt.(-), es sich gem. § 33 Abs. 1 S. 1 WpHG nicht um einen Emittenten handelt, „für den die Bundesrepublik Deutschland der Herkunftsstaat ist“. Die im OTC-Handel gehandelten Wertpapiere werden nicht an einem organisierten Markt i.S.v. § 2 Abs. 13 WpHG i.V.m. § 2 Abs. 11 WpHG gehandelt.
Anwendung der Vorschriften des Übernahmerechts (WpÜG) auf Angebote zum Erwerb von Anteilen an einer Zielgesellschaft(-), wenn die Aktien der Zielgesellschaft nur über einen SI gehandelt werden. Ein SI ist kein „organisierter Markt“ i.S.v. § 1 Abs. 4 WpÜG i.V.m. § 2 Abs. 7 WpÜG.(-), wenn die Aktien der Zielgesellschaft nur im OTC-Handel gehandelt werden. Ein OTC-Handel ist kein „organisierter Markt“ i.S.v. § 1 Abs. 4 WpÜG i.V.m. § 2 Abs. 7 WpÜG.

3. Erläuterungen

Im Hinblick auf die vorstehende Darstellung wird unter den gesetzlichen Abkürzungen was folgt verstanden:

ProspektVO: VERORDNUNG (EU) 2017/1129 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 14. Juni 2017 über den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt zu veröffentlichen ist und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/71/ EG

MAR: Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission Text von Bedeutung für den EWR

Finanzmarktrichtlinie: RICHTLINIE 2014/65/EU DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU

Dr. Ingo Janert (Stand: 04. August 2023, Bild von Csaba Nagy auf Pixabay)