Die Wirtschaftspresse hatte bereits Anfang der Woche berichtet, dass der Börsenkurs der Aktien des Batterieherstellers Varta AG zur Börseneröffnung der Frankfurter Wertpapierbörse am 22. Juli 2024 bis zu 80 Prozent ins Minus sank (FAZ vom 22. Juli 2024). Dem dramatischen Kurssturz vorausgegangen war die ad-hoc Mitteilung der Gesellschaft vom Vortag, wonach Varta beabsichtige, beim Amtsgericht Stuttgart ein Restrukturierungsvorhaben nach dem Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz (StaRUG) anzuzeigen.
In diesem Beitrag möchte ich zunächst den Hintergrund für den Kursverlust beleuchten und am Beispiel der Varta AG darstellen, welche Risiken der Haftung sich für den Vorstand einer börsennotierten Aktiengesellschaft ergeben, wenn eine Gesellschaft ein solches vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren nach dem StaRUG durchgeführt.
1. Hintergrund des Kursverfalls der Varta-Aktien
Grund für den dramatischen Kursverlust der im Prime Standard der Frankfurter Wertpapierbörse gelisteten Aktien der Varta AG war die ad-hoc Mitteilung der Gesellschaft vom 21. Juli 2024. In der ad-hoc-Mitteilung von Sonntag heißt es zur geplanten Restrukturierung der Gesellschaft:
“ (…) Derzeit liegen der Gesellschaft zwei unterschiedliche Vorschläge für eine finanzielle Restrukturierung vor.
Ziel beider Vorschläge für ein Restrukturierungsvorhaben ist die Bereitstellung von Liquidität (entweder als Fremdkapital oder als Kombination von Fremd- und Eigenkapital, nach aktueller Einschätzung in Größenordnung eines hohen zweistelligen Millionen Euro-Betrags) für die Finanzierung operativer Restrukturierungsmaßnahmen, eine signifikante Reduzierung der Verschuldung der Gesellschaft und eine damit einhergehende Verbesserung der Eigenkapitalquote.
Beide Vorschläge sehen eine vereinfachte Herabsetzung des Grundkapitals der Gesellschaft auf 0 Euro verbunden mit einer anschließenden Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss und unter Ausgabe neuer Aktien vor. Dies würde zu einem kompensationslosen Ausscheiden der derzeitigen Aktionäre aus der Gesellschaft und zu einem Erlöschen der Börsennotierung der Aktien der VARTA AG führen. Zudem ist jeweils ein erheblicher Schuldenschnitt in Bezug auf bestimmte Gläubigergruppen sowie die Stundung von verbleibenden Forderungen vorgesehen. (…)“
Der dramatische Kursverlust der Varta-Aktien ist angesichts des verkündeten Plans, die Alt-Aktionäre aus dem Unternehmen zu drängen, ohne weiteres nachzuvollziehen: In einem ersten Schritt sollen die Varta-Aktien ohne Kompensation eingezogen werden. In einem zweiten Schritt soll sodann das Grundkapital der Gesellschaft erhöht und neue Aktien ausgegeben werden, wobei das Bezugsrecht der Alt-Aktionäre ausgeschlossen werden soll.
Da der Varta-Vorstand wohl nicht damit rechnete, dass die bisherigen Aktionäre diesem Plan mit einer Mehrheit von mindestens 75 Prozent des anwesenden Grundkapitals der Gesellschaft zustimmen würden, wählte der Vorstand einen anderen Weg, nämlich den Weg der vorinsolvenzlichen Sanierung nach dem StaRUG.
2. Regelungszweck des StaRUG
Das Restrukturierungsverfahren nach dem StaRUG bewegt sich inhaltlich zwischen der außergerichtlichen Sanierung und einem Insolvenzverfahren.
Kern dieses seit dem 1. Januar 2021 in Kraft getretenen Gesetzes ist vor allem die Bereitstellung eines an das Insolvenzplanverfahren angelehnten Restrukturierungsplans, der auch gegen den Widerstand von Minderheitsgesellschaftern verbindlich durchgesetzt werden kann. Insoweit lässt sich der Restrukturierungsplan nach dem StaRUG bildlich als ein „Baukastensystem“ beschreiben, in dem der drohend zahlungsunfähige Schuldner diejenigen Instrumente auswählen kann, die er in seiner spezifischen Sanierungssituation benötigt (vgl. nur Pospiech/Noack, NJW-Spezial 2021, S. 207 ff., S. 207 m.w.N.).
Zur Annahme des Restrukturierungsplan ist danach grundsätzlich die Zustimmung durch jede Gläubigergruppe mit mindestens 75 % der Stimmrechte notwendig. Das Unternehmen kann zu seiner Absicherung überdies einen Antrag auf Vollstreckungs- und Verwertungssperre (sog. Moratorium) erwirken.
Im Ergebnis kann also ein sanierungsbedürftiges Unternehmen die für die Kapitalmaßnahmen erforderliche Zustimmung der Hauptversammlung durch das Restrukturierungsverfahren nach dem StARUG in rechtlich zulässiger Weise umgehen. Insoweit hat der Varta-Vorstand Michael Ostermann Recht, wenn er im FAZ-Interview (FAZ vom 23. Juli 2024) hierzu ausführt:
„(…) Bei beiden Optionen gibt es einen Kapitalschnitt, das Kapital wird auf null herabgesetzt. Die Aktionäre gehen in dem Fall leer aus, da gibt es keine Alternativszenarien. Es gibt heute kein realistisches Szenario, in dem die Aktionäre noch irgendwas haben.“
3. Haftungsrisiken bei einer vorinsolvenzlichen Sanierung
Auch wenn das Restrukturierungsverfahren nach dem StaRUG verschiedene Handlungsoptionen für das sanierungsbedürftigen Unternehmen ermöglicht, so birgt der von Varta beschrittene Weg doch auch verschiedene Haftungsrisiken für die Gesellschaft und auch für den Vorstand selbst.
a. Kapitalmarktrechtliche Offenlegungspflichten
Da die Varta AG im Regulierten Markt notiert ist, trifft die Gesellschaft zunächst die kapitalmarktrechtlichen Offenlegungspflichten, insbesondere die ad hoc-Verpflichtung gemäß Art. 17 MAR. Danach ist eine Insiderinformation im Sinne von Art. 7 MAR, die den Emittenten unmittelbar betrifft, so bald wie möglich bekanntzumachen.
Ein Verstoß gegen die ad hoc Verpflichtung stellt zunächst eine Ordnungswidrigkeit (vgl. § 120 Abs. 15 WpHG) dar. Viel bedeutsamer – weil die Schadenssummen deutlich höher liegen können – ist allerdings die Schadensersatzverpflichtung der Gesellschaft wegen einer verspäteten ad hoc-Mitteilung (§ 97 WpHG) oder wegen einer unrichtigen ad hoc-Mitteilung (§ 98 WpHG).
Aus der Ferne lässt sich nicht beurteilen, ob die ad hoc Mitteilung der Varta AG vom 21. Juli 2024 rechtzeitig war oder nicht. Die Differenzierung in der ad hoc-Mitteilung über die zwei Restrukturierungswege – die Equity-basierte und die Fremdkapital-basierte Lösung – spricht dafür, dass der Vorstand sich bemühte, zum Zeitpunkt der Erstellung der ad hoc-Mitteilung den Kapitalmarkt richtig und vollständig zu informieren.
b. Aktienrechtliche Pflicht zur Verlustanzeige und zur Einberufung der Hauptversammlung
Die Pflicht des Vorstands zur Verlustanzeige und zur Einberufung der Hauptversammlung gemäß § 92 Abs. 1 AktG wird in der ad hoc-Mitteilung der Varta AG vom 21. Juli 2024 selbst angesprochen. Ergibt sich bei Aufstellung der Jahresbilanz oder einer Zwischenbilanz oder ist bei pflichtmäßigem Ermessen anzunehmen, dass ein Verlust in Höhe der Hälfte des Grundkapitals besteht, so hat der Vorstand nach § 92 Abs. 1 AktG unverzüglich die Hauptversammlung einzuberufen und ihr dies anzuzeigen.
Unter einem Verlust in Höhe der Hälfte des Grundkapitals wird dabei nach herrschender Meinung verstanden, dass das Gesellschaftsvermögen nur noch die Hälfte des Nennkapitals deckt (vgl. Koch, 18. Aufl. 2024, AktG, § 92, Rn. 4). Ist dies der Fall, so muss der Vorstand die Hauptversammlung unverzüglich (§ 121 Abs. 1 S. 1 BGB) einberufen und die Verlustanzeige erstatten. Auch der Termin der Hauptversammlung muss so gelegt werden, dass keine unnötige Verzögerung eintritt (vgl. Koch, a.a.O., Rn. 5).
Verletzt der Vorstand seine Pflicht aus § 92 Abs. 1 AktG, kann dies zunächst eine Strafbarkeit des Vorstands gemäß § 401 AktG begründen. Darüber hinaus kann sich der Vorstand gegenüber der Gesellschaft gemäß § 93 Abs. 2 AktG schadensersatzpflichtig machen.
c. Pflicht zur Krisenfrüherkennung und -reaktion
Im Rahmen der Restrukturierung trifft den Vorstand der Varta AG gemäß § 1 Abs. 1 StARUG die Pflicht zur Krisenfrüherkennung und -reaktion.
Danach ist die Geschäftsleitung zunächst verpflichtet, über Entwicklungen, welche den Fortbestand des Unternehmens gefährden können, fortlaufend zu wachen. Im Zusammenhang mit der Pflicht zur Krisenfrüherkennung zur Minimierung von Haftungsrisiken ist zudem zu empfehlen, für eine umfassende Dokumentation der vorgenommenen Überwachung Sorge zu tragen (vgl. Pospiech/Noack, a.a.O.).
Erkennt die Geschäftsleitung eine solche unternehmensgefährdenden Entwicklung, ist sie verpflichtet, geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen oder den zu Überwachung der Geschäftsleitung berufenen Organen unverzüglich Bericht zu erstatten.
Für den Fall, dass der Vorstand die Pflicht zur Krisenfrüherkennung und -reaktion verletzt, macht sich der Vorstand gegenüber der Gesellschaft gemäß § 93 Abs. 2 AktG schadensersatzpflichtig.
d. Pflicht zur sorgfältigen Durchführung der Restrukturierungssache
§ 43 StaRUG verpflichtet die Geschäftsleitung – unabhängig von den allgemeinen Haftungsregelungen in § 43 Abs. 2 GmbHG und § 93 Abs. 2 AktG – zur Einhaltung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsführers. Die neu geschaffene Haftungsbestimmung enthält im Ergebnis nichts anderes als die ohnehin anerkannte Legalitätspflicht der Geschäftsleiter (vgl. Pospiech/Noack, a.a.O., S. 208).
§ 43 Abs. 1 StaRUG knüpft nicht an die drohende Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft, sondern an das Vorliegen einer Restrukturierungssache an, die ihrerseits erst mit der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens beim Restrukturierungsgericht (§§ 34 ff. StaRUG) rechtshängig wird (§ 31 Abs. 3 StaRUG).
Verletzt ein Geschäftsleiter – etwa der Vorstand der Varta AG – im Restrukturierungsverfahren nach dem StaRUG die sich aus dieser Haftungsnorm ergebenden Pflichten, ist dieser der Gesellschaft zum Ersatz des den Gläubigern daraus resultierenden Gesamtschadens verpflichtet, es sei denn, der Geschäftsleiter hat die Pflichtverletzung nicht zu vertreten. Insoweit statuiert § 43 StaRUG eine spezielle Organhaftung im Restrukturierungsverfahrens in Gestalt einer sog. Innenhaftung.
4. Fazit
Der von der Varta AG eingeleitete Weg einer Restrukturierung nach dem StaRUG eröffnet die Möglichkeit einer vorinsolvenzlichen Sanierung der Gesellschaft. Wird das Verfahren rechtsfehlerfrei durchgeführt, werden die bisherigen Anteilseigner aller Voraussicht nach zu den Verlierern der Restrukturierung gehören. Allerdings bleibt aus Sicht der Anteilseigner und der Gläubiger der Gesellschaft genau zu beobachten, ob der Vorstand bei der anstehenden Restrukturierung die sich aus dem Gesetz ergebenden Pflichten ordnungsgemäß erfüllt. Andernfalls können Haftungsansprüche sowohl gegen die Gesellschaft als auch gegen den Vorstand persönlich bestehen.
Dr. Ingo Janert (Stand: 26. Juli 2024, Pressefoto von VARTA AG)