Zur Haftung des Wirtschaftsprüfers gegenüber Anlegern

BGH

Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 12. März 2020 (Aktenzeichen: VII ZR 236/19) die direkte Haftung des Wirtschaftsprüfers gegenüber Anlegern für ein unzutreffendes Testat in einem Wertpapierprospekt aus dem Gesichtspunkt der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung hergeleitet.

1. Sachverhalt der Entscheidung

Der Kläger nahm den Beklagten als Wirtschaftsprüfer wegen Erstellung von in Wertpapierprospekten veröffentlichten Bestätigungsvermerken über die Prüfung der Jahresabschlüsse nebst Lageberichten auf Zahlung von Schadensersatz in Anspruch.

Der Kläger zeichnete im Jahr 2012 eine Orderschuldverschreibung in Höhe von Euro 25.000,00 und im Jahr 2013 eine weitere Orderschuldverschreibung in Höhe von Euro 50.000,00. Beide Zeichnungen beruhten auf mit der Vermittlerin geführten Beratungsgesprächen, wobei die Anlageentscheidungen nach den Angaben in den Zeichnungsanträgen aufgrund der Wertpapierprospekte, insbesondere des Basisprospekts für Orderschuldverschreibungen 2011/2012 und der Geschäftsberichte der Emittentin sowie infolge der mündlichen Erläuterungen der Vermittlerin getroffen worden sein sollen.

Die Emittentin hatte in den Jahren zuvor ihr Geschäftsmodell vom Erwerb kapitalbildenden Lebens- und Rentenversicherungen im Sekundärmarkt weitgehend dahingehend geändert, dass stattdessen größtenteils Eigengeschäfte mit großvolumigen fondsgebundenen und gewöhnlich auf unternehmenszugehörige Personen lautende Lebens- und Rentenversicherungen erworben wurden. Mit diesem geänderten Geschäftskonzept waren deutlich höhere Risiken für die Emittentin verbunden. Der beklagte Wirtschaftsprüfer hatte auch entsprechende Kenntnis von der Änderung des Geschäftsmodells.

Der Basisprospekt enthielt für die Geschäftsjahre 2009 und 2010 Bestätigungsvermerke des beklagten Wirtschaftsprüfers, in denen jeweils bekundet wurde, dass die Prüfungen zu den Jahresabschlüssen zu keinen Einwendungen geführt hätten und die Lageberichte der Emittentin im Einklang mit den Jahresabschlüssen stünden, insgesamt ein zutreffendes Bild von der Lage der Emittentin vermittelten sowie die Chancen und Risiken der zukünftigen Entwicklung zutreffend darstellten. Im April 2014 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Emittentin eröffnet.

Die erstinstanzlich vor dem Landgericht Leipzig (Aktenzeichen: 9 O 1528/14) gerichtete Klage auf Zahlung von Euro 76.328,59 nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übertragung aller Rechte aus den Orderschuldverschreibungen und weitergehende Feststellungen wurde durch das Landgericht Leipzig abgewiesen. Das OLG Dresden (Aktenzeichen: 8 U 1020/18) hingegen verurteilte den beklagten Wirtschaftsprüfer auf die Berufung des Klägers zur Zahlung von Euro 69.975,32 nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übertragung aller Rechte aus den Orderschuldverschreibungen. Der Kläger verfolgte mit der Revision die Klageabweisung weiter.

2. Entscheidung des BGH

Der BGH nahm eine direkte Haftung des Wirtschaftsprüfers gegenüber den Anlegern zwar nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 332 Abs. 1 HGB, aber aus dem Gesichtspunkt der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gemäß § 826 BGB an.

a. Kein Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 332 Abs. 1 HGB

Der BGH lehnte eine Haftung des Wirtschaftsprüfers aus dem Gesichtspunkt der Erteilung eines inhaltlich unrichtigen Bestätigungsvermerks gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 332 Abs. 1 HGB ab.

Zwar handelt es sich nach der Auffassung des BGH bei der Strafrechtsnorm des § 332 Abs. 1 HGB um eine sog. drittschützende Norm im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Allerdings setzt die Bestimmung des § 332 Abs. 1 HGB voraus, dass es sich um eine gesetzlich vorgeschriebene Pflichtprüfung handelt.

Da die Emittentin nach Handelsrecht nicht prüfungspflichtig war, kam es in diesem Fall entscheidend darauf an, ob die Prüfung auf der Grundlage der wertpapierrechtlichen Vorschriften als gesetzlich vorgeschriebene Pflichtprüfung im Sinne von § 332 Abs. 1 HGB zu qualifizieren war oder nicht.

Bei einer gesetzlichen Pflichtprüfung im Sinne des § 332 Abs. 1 HGB handelt es sich nach Auffassung des BGH um eine nach Maßgabe des Handelsrechts vorgeschriebene Regelprüfung. Eine solche handelsrechtliche Abschlussprüfung unterscheide sich deutlich von Prüfungen für andere Anlässe, wie etwa für Prüfungen auf der Grundlage wertpapierrechtlicher Vorschriften. Die nach Maßgabe des Handelsrechts vorgeschriebene Regelprüfung weise dem Abschlussprüfer gerade eine besondere Funktion als Kontrollorgan zu.

Aus diesem Grund sei die Prüfung auf der Grundlage wertpapierrechtlicher Vorschriften über den notwendigen Inhalt eines Prospekts für die Emission eines Wertpapiers nicht als eine gesetzliche Pflichtprüfung im Sinne des § 332 Abs. 1 HGB anzusehen.

Da sich auch eine analoge Anwendung der Strafrechtsnorm des § 332 Abs. 1 HGB mit Blick auf die grundrechtliche Regelung des Art. 103 Abs. 2 GG verbietet, scheidet nach Auffassung des BGH ein Schadensersatzanspruch des Anlegers gegen den Wirtschaftsprüfer aus dem Gesichtspunkt der Erteilung eines inhaltlich unrichtigen Bestätigungsvermerks gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 332 Abs. 1 HGB aus.

b. Anspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gem. § 826 BGB

Demgegenüber nahm der BGH eine Haftung des Wirtschaftsprüfers gegenüber Anlegern aus dem Gesichtspunkt der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gemäß § 828 BGB an.

Im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der sittenwidrigen Schädigung wiederholt der BGH seine gefestigte Rechtsprechung und verlangt für das Vorliegen der Sittenwidrigkeit, dass ein Verstoß gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden vorliegt.

Der BGH stellt insoweit wiederum auf die Grundvoraussetzungen für ein als sittenwidrig einzuordnendes Verhalten eines Experten ab, nämlich dass dieser

  • aufgrund seines Status ein besonderes Vertrauen für sich in Anspruch nimmt, selbst aber nicht im Mindesten den an einen Experten zu richtenden Maßstäben genügt und
  • sich leichtfertig und gewissenlos verhält.

Aufgrund der Expertenstellung ist nach Auffassung des BGH ein Verhalten als Wirtschaftsprüfer immer dann als sittenwidrig zu qualifizieren, wenn der Wirtschaftsprüfer seine Aufgaben nachlässig erledigt, z.B. durch unzureichende Ermittlungen oder durch Angaben ins Blaue hinein und dabei eine Rücksichtslosigkeit an den Tag legt, die angesichts der Bedeutung des Bestätigungsvermerks für die Entscheidung Dritter als gewissenslos anzusehen ist.

Da der beklagte Wirtschaftsprüfer Kenntnis von der Neuausrichtung des Geschäftsmodells der Emittentin hatte und zudem auch in Kenntnis der damit verbundenen höheren Risiken für die Emittentin war, bejahte der BGH den vorsätzlichen Sittenverstoß des beklagten Wirtschaftsprüfers und verpflichtete den Wirtschaftsprüfer zum Schadensersatz gegenüber dem geschädigten Anleger gemäß § 826 BGB.

Dr. Ingo Janert (Stand: 08. Juni 2020, Palais mit Brunnen, Foto: Joe Miletzki)

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