BGH: Neues zum Nachbesserungsanspruch im WpÜG

Der BGH aus der Luftperspektive.
BGH aus der Luftperspektive.

Der BGH hat in seinem Urteil vom 23. Mai 2023 (Aktenzeichen: II ZR 219/21) zur Reichweite des übernahmerechtlichen Nachbesserungsanspruchs nach § 31 Abs. 5 S. 1 WpÜG i.V.m. § 31 Abs. 6 S. 1 WpÜG in einer sehr ausführlichen Art und Weise Stellung genommen und verschiedene strittige Rechtsfragen in diesem Zusammenhang geklärt. Der vorliegende Beitrag versucht, diese doch sehr ausführliche Entscheidung für die Praxis kurz darzustellen.

1. Sachverhalt

Der der Entscheidung des BGH vom 23. Mai 2023 zugrunde liegende Sachverhalt ist – wie auch sonst bei übernahmerechtliche Fallkonstellationen – nicht ganz einfach zu verstehen. Aus diesem Grund soll der Sachverhalt für die entscheidungsrelevanten Rechtsfragen vereinfacht wie folgt zusammengefasst werden:

Die Klägerin, die an der Zielgesellschaft Aktien hielt, machte gegen die beklagte Bieterin einen Nachbesserungsanspruch nach § 31 Abs. 5 S. 1 WpÜG i.V.m. § 31 Abs. 6 S. 1 WpÜG geltend. Die Klägerin hatte ein öffentliches Übernahmeangebot der Bieterin zum Preis von Euro 66,25 je Aktie angenommen.

Nach der Abwicklung des öffentlichen Übernahmeangebots hatte die Bieterin einen als „Irrevocable Commitment“ bezeichneten Vertrag in englischer Sprache (nachfolgend nur „IC“ genannt) mit einem anderen Aktionär abgeschlossen.

Inhalt des IC war dabei, dass der andere Aktionär sich in der Hauptversammlung der Zielgesellschaft verpflichtete, einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit der Zielgesellschaft u.a. dann zuzustimmen, wenn die darin festgelegte Abfindung für außenstehende Aktionäre einen Betrag von mindestens Euro 74,40 je Aktie beträgt. Der IC selbst sah für keine der Vertragsparteien einen Anspruch auf Übereignung von Aktien der Zielgesellschaft vor, sondern machte diesen Anspruch vom Wirksamwerden eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages und der Ausübung des Andienungsrechts abhängig. Die Bieterin wollte sich durch den IC die Zustimmung des anderen Aktionärs zum Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag sichern, weil sie mit eigenen Stimmrechten die für die Beschlussfassung erforderlichen Mehrheit in der Hauptversammlung der Zielgesellschaft nicht erreichen konnte.

BGH – Urteil vom 23. Mai 2023 (Aktenzeichen: II ZR 219/21), Rn. 1 bis 6.

Da die Klägerin im Zuge des Übernahmeverfahrens – wie zuvor dargestellt – einem Preis von Euro 66,25 je Aktie bezahlt hatte, machte die Klägerin den Differenzbetrag zwischen dem dem anderen Aktionär im IC zugesagten Abfindungsbetrag in Höhe von Euro 74,40 je Aktie und und dem von ihr selbst gezahlten Betrag in Höhe von Euro 66,25 je Aktie mithilfe des Nachbesserungsanspruchs nach § 31 Abs. 5 S. 1 WpÜG i.V.m. § 31 Abs. 6 S. 1 WpÜG gegen die Bieterin geltend.

Der BGH hatte also im Revisionsverfahren vor allem über zwei Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem IC zu entscheiden:

  • Da der IC kein Recht der Bieterin vorsah, von dem anderen Aktionär die Übereignung der Aktien zu verlangen, stellte sich die Frage, ob es sich bei dem IC um eine Vereinbarung handelt, „auf Grund derer die Übereignung von Aktien verlangt werden kann“ (§ 31 Abs. 6 S. 1 WpÜG) und ob daher der Nachbesserungsanspruch gemäß § 31 Abs. 5 S. 1 WpÜG nach § 31 Abs. 6 S. 1 WpÜG Anwendung findet oder nicht.
  • Da der IC mit dem anderen Aktionär die den Angebotspreis (Euro 66,25 je Aktie) übersteigende Abfindung (Euro 74,40 je Aktie) zeitlich vor der Abhaltung der Hauptversammlung der Zielgesellschaft, in dem der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag erst beschlossen werden sollte, regelte, stellte sich weiter die Frage, ob der Nachbesserungsanspruch durch die Ausnahmevorschrift des § 31 Abs. 5 S. 2 1. Fall WpÜG i.V.m. § 31 Abs. 6 S. 1 WpÜG ausgeschlossen war oder nicht.

So viel also zum Sachverhalt dieser Entscheidung, der hier – wie zuvor angekündigt – nur sehr kurz dargestellt werden soll.

2. Reichweite des Nachbesserungsanspruchs gemäß § 31 Abs. 5 S. 1 WpÜG i.V.m. § 31 Abs. 6 S. 1 WpÜG

Der BGH entschied zur ersten Rechtsfrage, dass eine Vereinbarung – hier der streitgegenständliche IC – nach § 31 Abs. 6 S. 1 WpÜG („… Vereinbarungen, aufgrund derer die Übereignung von Aktien verlangt werden kann.“) entgegen der überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum nicht voraussetzt, dass der Bieter die Übereignung von Aktien verlangen kann.

Nach Auffassung des BGH sprechen vor allem die nachfolgenden Argumente für diese Auslegung:

  • Der Wortlaut des § 31 Abs. 6 S. 1 WpÜG („… Vereinbarungen, aufgrund derer die Übereignung von Aktien verlangt werden kann.“) erfasst allgemein Vereinbarungen, aufgrund derer die Übereignung von Aktien verlangt werden kann, ohne dass näher bestimmt wird, wer aus der Vereinbarung berechtigt und verpflichtet ist.
  • Die Mitteilungspflichten gemäß § 38 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 WpHG und § 20 Abs. 2 AktG dienen der Transparenz, während der Nachbesserungsanspruch Ausdruck des Gleichbehandlungsgrundsatzes der Aktionäre der Zielgesellschaft ist.
  • Die Entstehungsgeschichte von § 31 Abs. 6 S. 1 WpÜG spreche gleichfalls für eine weite Auslegung im Sinne eines allgemeinen Umgehungsschutzes.
  • Der IC enthielt – wie zuvor ausgeführt – für keine der Vertragsparteien einen Anspruch auf Übereignung von Aktien der Zielgesellschaft. Dieser Umstand spreche aber nicht gegen die Anwendung von § 31 Abs. 6 S. 1 WpÜG, wenn eine Vereinbarung – wie hier der IC – bei objektiver Betrachtung eine auf den Erwerb von Aktien der Zielgesellschaft gerichtete rechtsgeschäftliche Disposition des Bieters enthält, in der zum Ausdruck kommt, dass der Bieter bereit ist, eine Gegenleistung für den Aktienerwerb zu erbringen, die die nach § 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 WpÜG angebotene Gegenleistung übersteigt. Der BGH bejahte im Hinblick auf den IC einen solchen mehraktigen Vorgang, da der IC einen Erwerb der Aktien der Zielgesellschaft innerhalb der Jahresfrist des § 31 Abs. 5 S. 1 WpÜG durch die Bieterin ermöglichte.

3. Reichweite des Ausschlusstatbestands gemäß § 31 Abs. 5 S. 2 1. Fall WpÜG i.V.m. § 31 Abs. 6 S. 1 WpÜG

Die zweite Rechtsfrage entschied der BGH in dem Sinne, dass eine Vereinbarung – wie hier der IC – , indem sich ein Bieter zeitlich vor dem Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages verpflichtet, mit seinen Stimmrechten die Zustimmung der Hauptversammlung nach § 293 Abs. 1 S. 1 AktG zu unterstützen, wenn den außenstehenden Aktionären eine dem Betrag nach bestimmte Mindestabfindung angeboten wird, nicht „im Zusammenhang mit einer gesetzlichen Verpflichtung zur Gewährung einer Abfindung an Aktionäre der Zielgesellschaft“ i.S.v. § 31 Abs. 5 S. 2 1. Fall WpÜG steht.

Als wesentliche Argumente für diese Sicht, die in zeitlicher Sicht darauf abstellt, ob die dem Angebotspreis übersteigende Abfindung vorzeitig ausgehandelt wurde, sind nach Meinung des BGH:

  • Dem Wortlaut „im Zusammenhang“ lassen sich nähere Vorgaben, wie dieser Zusammenhang beschaffen sein muss, zwar nicht entnehmen.
  • Für ein enges Verständnis vom Begriff des Zusammenhangs spreche der Charakter des Ausschlusstatbestandes als Ausnahmeregelung mit dem Zweck, die Gleichbehandlung der Aktionäre nicht auszuhöhlen.
  • Die Entstehungsgeschichte der Norm spreche gleichfalls für ein enges Verständnis vom Begriff des Zusammenhangs.
  • § 31 Abs. 5 S. 2 1. Fall WpÜG will verhindern, dass der Bieter wegen der Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung der Abfindung über einen unverhältnismäßig langen Zeitraum unkalkulierbare Kosten im Hinblick auf einen übernahmerechtlichen Nachbesserungsanspruch ausgesetzt sei. Dieser Zweck erfordere eine restriktive Auslegung des Begriffs des Zusammenhangs.

4. Fazit

Der BGH klärt zwei im Zusammenhang mit dem übernahmerechtlichen Nachbesserungsanspruch praxisrelevante Rechtsfragen. Im Ergebnis wird damit der Gleichbehandlungsgrundsatz der Aktionäre im Rahmen des Übernahmeverfahrens weiter gestärkt.

Dr. Ingo Janert (Stand: 21. August 2023, Luftbildaufnahme vom BGH-Gebäude)