Anwendungsbereich des WpÜG

Übernahme

Nachfolgend soll auf die Regelungsziele und den Anwendungsbereich des WpÜG im Einzelnen eingegangen werden.

1. Regelungsziele des WpÜG

Mit dem In-Kraft-Treten des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) zu Beginn des Jahres 2002 hat Deutschland als eines der letzten Länder innerhalb der EU allgemeinverbindliche Regeln für Übernahmeangebote eingeführt. Das WpÜG hat sich nach Einschätzung vieler Fachleute in der Praxis gut bewährt.

Das WpÜG regelt öffentliche Angebote eines Bieters zum Erwerb von Aktien einer börsennotierten deutschen Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien und von börsennotierten Gesellschaften mit Sitz im EWR (vgl. § 2 Abs. 3 WpÜG).

Besondere Regelungen gibt es für den Fall, dass der Bieter Aktien an der börsennotierten Zielgesellschaft in einem solchen Umfang erwirbt, dass er zentrale Entscheidungen der Gesellschaft (z.B. durch Ausübung der Stimmrechte auf der Hauptversammlung) beeinflussen und so die Kontrolle über die Zielgesellschaft ausüben kann (sog. Übernahme).

Erfolgt die Übernahme im Einvernehmen mit dem Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft, spricht man von einer sog. freundlichen Übernahme. Demgegenüber spricht man von einer sog. feindlichen Übernahme, wenn die Übernahme der Zielgesellschaft gegen den Willen von Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft erfolgt.

Eine Unternehmensübernahme kann positive Folgen (z.B. Schaffung von Synergien), aber auch negative Auswirkungen (z.B. Zerschlagung der Zielgesellschaft) haben. Das WpÜG fördert dabei keine Unternehmensübernahmen, aber beschränkt diese auch nicht. Es verfolgt vielmehr einen neutralen Regelungsansatz und setzt einen Rahmen für ein faires und geordnetes Übernahmeverfahren (vgl. Poelzig, Kapitalmarktrecht, 2. Auflage, München 2021, Rn. 673).

Das WpÜG verfolgt vor allem vier Ziele:

  • Schaffung von Leitlinien für ein faires und geordnetes Angebotsverfahren, ohne Unternehmensübernahmen zu fördern oder zu behindern
  • Verbesserung der Information und der Transparenz für die betroffenen Wertpapierinhaber und Arbeitnehmer
  • Stärkung der rechtlichen Stellung von Minderheitsaktionären bei Unternehmensübernahmen
  • Orientierung an international üblichen Standards

2. Anwendungsbereich des WpÜG

Nach § 1 Abs. 1 WpÜG ist das WpÜG anwendbar auf alle öffentlichen Kauf- und Tauschangebote zum Erwerb von Wertpapieren der Zielgesellschaft, die zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind.

Im Bereich der Unternehmensübernahme ist das WpÜG daher das Gegenstück zum Wertpapierprospektrecht nach der ProspektVO, die bei öffentlichen Angeboten zur Veräußerung von Wertpapieren zur Anwendung kommt (vgl. Poelzig, a.a.O., Rn. 674). Das Prospektrecht für Wertpapiere wird hier erläutert.

a. Begriff des öffentlichen Angebots

Ein „öffentliches Angebot“ i.S.v. § 2 Abs. 1 WpÜG ist gegeben, wenn sich das Kauf- oder Tauschangebot an alle Aktionäre richtet, gleich ob das Angebot in einer überregionalen Tageszeitung veröffentlicht wird, jeder Aktionär das Angebot per Brief erhält oder das Angebot im Internet veröffentlicht wird.

Demgegenüber liegt kein öffentlichen Angebot vor, wenn z.B. einzelne Aktionäre der Zielgesellschaft angesprochen werden (vgl. Poelzig, a.a.O., Rn. 675).

b. Begriff der Wertpapiere

Mit dem Tatbestandsmerkmal „Wertpapiere“ i.S.v. § 2 Abs. 2 WpÜG werden nur Aktien bzw. mit Aktien vergleichbare Wertpapiere sowie Wertpapiere erfasst, die den Erwerb von Aktien und mit Aktien vergleichbare Wertpapiere verbriefen. Das WpÜG findet danach keine Anwendung z.B. auf Schuldverschreibungen.

Die Wertpapiere der Zielgesellschaft müssen am organisierten Markt i.S.d. des Börsengesetzes oder an einen geregelten Markt des EWR gehandelt werden (§ 2 Abs. 7 WpÜG). Da der Freiverkehr ein sog. MTF und daher kein „organisierter Markt“ i.S.v. § 1 Abs. 4 WpÜG i.V.m. § 2 Abs. 7 WpÜG ist, findet das WpÜG keine Anwendung auf eine Übernahme eines Unternehmens, das im sog. Freiverkehr notiert ist. Eine Unterscheidung der Pflichten nach jeweiligem Marktsegment (z.B. regulierter Markt, MTF, OTF) finden Sie hier.

3. Allgemeine Prinzipien des Übernahmerechts

Das WpÜG formuliert in seinem § 3 einige allgemeine Grundsätze, die für die Bieter sowie für den Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft gelten. Die Inhalte dieser Grundsätze entsprechen im Wesentlichen international anerkannten Standards.

Nach diesen allgemeinen Grundsätzen sind etwa die Inhaber von Wertpapieren der Zielgesellschaft, die derselben Gattung angehören, gleich zu behandeln (§ 3 Abs. 1 WpÜG). Unzulässig sind danach z.B. unterschiedlich lange Annahmefristen für Privatanleger und institutionelle Anleger.

Darüber hinaus müssen die Inhaber von Wertpapieren der Zielgesellschaft über genügend Zeit und ausreichend Informationen verfügen, um in Kenntnis der Sachlage über das Angebot entscheiden zu können (§ 3 Abs. 2 WpÜG).

Der Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft müssen ferner im Interesse der Zielgesellschaft handeln (§ 3 Abs. 3 WpÜG). § 3 Abs. 4 WpÜG untersagt eine unangemessene Verzögerung des Übernahmeverfahrens.

§ 3 Abs. 5 WpÜG bestimmt, dass beim Handel mit Wertpapieren der Zielgesellschaft, der Bietergesellschaft oder anderer durch das Angebot betroffene Gesellschaften keinerlei Marktverzerrung geschaffen werden dürfen.

4. Exkurs: Übernahmesonderrecht im Investmentrecht

Im Investmentrecht gibt es ein sog. Übernahmesonderrecht (§§ 287 bis 292 KAGB). Diese Bestimmungen gelten grundsätzlich für den Fall, dass eine AIF-KVG, die einen Spezial-AIF verwaltet, beabsichtigt, die Kontrolle (mindestens 50 Prozent der Stimmrechte, § 288 KAGB) über ein nicht börsennotiertes Unternehmen zu erlangen (§ 287 Abs. 1 bis 3 KAGB). § 289 KAGB verpflichtet die KVG – vergleichbar wie die §§ 33 ff. WpHG für börsennotierte Aktiengesellschaften – zur Mitteilung über eine Veränderung der Stimmrechte an dem Zielunternehmen. Um eine Zerschlagung oder ein Ausschlachten (sog. asset stripping) des Zielunternehmens und vor allem die verbreitete Finanzierung des Kontrollerwerbs aus dem Vermögen des Zielunternehmens zu erschweren, sieht § 292 KAGB ein spezielle Ausschüttungssperre für die ersten 24 Monate nach Kontrollerlangung vor (vgl. Poelzig, a.a.O., Rn. 763).

Für den Fall, dass der Spezial-AIF die Kontrolle eines börsennotierten Unternehmens anstrebt, gelten hingegen die allgemeinen Bestimmungen des Übernahmerechts gem. §§ 1 ff. WpÜG und der Beteiligungstransparenz gem. §§ 33 WpHG. Zum Schutz des börsennotierten Zielunternehmens gilt die zuvor dargestellte Ausschüttungssperre aber auch für börsennotierte Unternehmen (§§ 287 Abs. 4, 292 KAGB).

Dr. Ingo Janert (24. September 2024, Bild von StartupStockPhotos auf Pixabay)

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