In diesem Beitrag wird der Frage nachgegangen, wie sich Anlageberater und Anlagevermittler rechtlich vor einer Haftung gegenüber Anlegern schützen können, wenn sie einen fehlerhaften Prospekt bei ihrer Beratung bzw. Aufklärung verwenden.
1. Rechtlicher Ausgangspunkt
Die Autoren Buck-Heeb und Dieckmann stellen in ihrem aktuellen Fachaufsatz zur Haftung bei Prospektverwendung in der BKR 2020, S. 425 ff. sehr anschaulich dar, dass sich seit der Entscheidung des XI. Zivilsenats des BGH vom Oktober 2018 die Haftung von Anlageberatern und Anlagevermittlern gegenüber der Prospekthaftung von Emittenten und Anbietern deutlich verschlechtert hat, wenn ein (fehlerhafter) Prospekt gegenüber dem Anlageinteressenten verwendet wird.
a. Privilegierte Haftung der Emittenten/Anbieter
Der XI. Zivilsenat des BGH hat in seinem Beschluss vom 23. Oktober 2018 (Az.: XI ZB 3/16) entschieden, dass die spezialgesetzliche Prospekthaftung gegenüber der Prospekthaftung im weiteren Sinne (§§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB) als lex specialis zu qualifizieren ist, wenn der Emittent oder Anbieter den von ihnen erstellten (fehlerhaften) Prospekt im Vorfeld des Vertrages mit dem Anleger verwenden. Dies bedeutet, dass ein geschädigter Anleger nicht noch zusätzlich einen Schadensersatzanspruch aus dem Gesichtspunkt der Prospekthaftung im weiteren Sinne geltend machen kann.
Die Entscheidung des BGH vom 23. Oktober 2018 betraf zwar die spezialgesetzliche Prospekthaftung des § 127 Abs. 1 InvG a.F., ist allerdings auch auf die neueren spezialgesetzlichen Produkthaftungsnormen der §§ 9, 10 WpPG, 306 Abs. 1 KAGB, 20 VermAnlG anwendbar (vgl. Buck-Heeb/Dieckmann, BKR 2020, S. 425, S. 427).
Emittenten/Anbieter haften bei Verwendung ihres (fehlerhaften) Prospekts gegenüber Anlegern wie folgt:
- Haftung aus spezialgesetzlicher Prospekthaftung (§§ 9, 10 WpPG, 306 Abs. 1 KAGB, 20 VermAnlG)
- Keine Haftung aus Prospekthaftung im weiteren Sinne (§§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB)
Die Haftung aus spezialgesetzlicher Prospekthaftung (§§ 9, 10 WpPG, 306 Abs. 1 KAGB, 20 VermAnlG) hat dabei für die Emittenten/Anbieter nachfolgende Vorteile:
- Haftung nur im Fall der Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis im Hinblick auf die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben im Prospekt (d.h. mindestens grobe Fahrlässigkeit)
- Haftung „rücktrittsähnlich“ nur auf Erstattung des Kaufpreises für das vom Anleger erworbenen Kapitalmarktprodukt und nicht zusätzlich noch auf einen entgangenen Gewinn (z.B. durch ein alternatives Investment)
b. Weitergehende Haftung der Anlageberater/Anlagevermittler
Anlagerberater/Anlagevermittler können demgegenüber aus dem Gesichtspunkt der Prospekthaftung im weiteren Sinne und aus dem Gesichtspunkt der Vertragshaftung geschädigten Anlegern gegenüber haften. Im Bereich des Investmentrechts sieht § 306 Abs. 4 KAGB aber ausnahmsweise ein spezialgesetzliche Prospekthaftung für Abschluss- und Anlagevermittler vor.
aa. Da Anlageberater/Anlagevermittler gegenüber ihren Kunden „in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch nehmen“, entsteht zwischen dem Anlageinteressenten und dem Anlageberater/Anlagevermittler selbst dann ein vorvertragliches Schuldverhältnis, wenn der Anlageberater/Anlagevermittler zugleich Verhandlungsgehilfe des Emittenten/Anbieters ist (vgl. Buck-Heeb/Dieckmann, BKR 2020, S. 425, S. 427 m.w.N.).
Verwenden die Anlageberater/Anlagevermittler nun in diesem vorvertraglichen Schuldverhältnis zur Erfüllung ihrer eigenen Beratungs- bzw. Aufklärungspflichten einen (fehlerhaften) Prospekt, haften sie für die Fehlerhaftigkeit des Prospekts aus dem Gesichtspunkt der Prospekthaftung im weiteren Sinne gem. §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 3 BGB (vgl. Buck-Heeb/Dieckmann, BKR 2020, S. 425, S. 427). Anknüpfungspunkt für diese Prospekthaftung im weiteren Sinne ist dabei die Verletzung der ihnen obliegenden Prospektprüfungspflicht.
bb. Kommt zwischen dem Anlageberater/Anlagevermittler zusätzlich noch ein Beratungs- bzw. Auskunftsvertrag zumindest stillschweigend zustande, wird eine Vertragshaftung für eine fehlerhafte Beratung (Anlageberater) oder eine Haftung für eine fehlerhafte Auskunft (Anlagevermittler) gem. § 280 Abs. 1 BGB begründet (vgl. Buck-Heeb/Dieckmann, BKR 2020, S. 425, S. 427). Anknüpfungspunkt für diese Vertragshaftung ist dabei die Verletzung der Pflicht zur ordnungsgemäßen Beratung bzw. Auskunft.
cc. Die Prospekthaftung im weiteren Sinne gem. §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 3 BGB und die Vertragshaftung gem. § 280 Abs. 1 BGB haben dabei für die Anlageberater und Anlagenvermittler beide nachfolgende Nachteile:
- Haftung bereits bei einfacher Fahrlässigkeit (§ 276 BGB), d.h. bei einfach-fahrlässiger Verletzung ihrer Pflichten
- Haftung auf Erstattung des Kaufpreises für das Kapitalmarktprodukt sowie auch Ersatz des entgangenen Gewinns (z.B. durch ein alternatives Investment)
Im Ergebnis ist die Haftung der Anlageberater/Anlagenvermittler in dem Fall, dass die Berater/Vermittler ihre Kunden auf der Grundlage eines fehlerhaften Prospekts beraten bzw. aufklären, „nachteiliger“ als die Prospekthaftung der Emittenten/Anbieter, weil sie bereits bei einer leicht fahrlässigen Verletzung ihrer Pflichten haften und die Haftung zudem auch auf einen entgangenen Gewinn des Anlegers gerichtet ist.
Der Grund für diese auf den ersten Blick bestehende Ungleichbehandlung der Haftung zwischen den Emittenten/Anbieter einerseits und den Anlageberater/Anlagevermittler andererseits ist aber darin zu erblicken: Während die Emittenten/Anbieter verpflichtet sind, für ein Kapitalmarktprodukt (abstrakt) einen fehlerfreien Prospekt zu erstellen, sind die Anlageberater/Anlagevermittler gehalten, (konkret) in einem (vorvertraglichen) Schuldverhältnis den einzelnen Anleger objekt- und anlegergerecht zu beraten bzw. aufzuklären (ähnlich Buck-Heeb/Dieckmann, BKR 2020, S. 425, S. 429). Diese unterschiedlichen Anknüpfungspunkte der pflichtbegründenden Haftung rechtfertigen indes eine haftungsrechtliche Privilegierung der Emittenten/Anbieter.
2. Handlungsmöglichkeiten zur Reduzierung der Haftung von Anlageberater/Anlagevermittler
Um die gegenüber den Emittenten/Anbieter eines Kapitalmarktprodukts nachteiligere Haftung der Anlageberater/Anlagevermittler bei Verwendung eines fehlerhaften Prospekts zu reduzieren, bieten sich vor allem nachfolgende Handlungsmöglichkeiten aus Sicht der Anlageberater/Anlagevermittler an:
a. Maßnahmen im Vorfeld eines Haftungsfalls
Wesentliche Maßnahmen im Vorfeld eines Haftungsfalls sind aus Sicht der Anlageberater/Anlagenvermittler:
- In der (Rahmen-)Vertriebsvereinbarung zwischen Emittenten/Anbieter und Anlageberater/Anlagevermittler sollte die Frage des Haftungsumfangs, insbesondere der Frage der Haftung für den entgangenen Gewinn, geregelt werden.
- Der Anlageberater/Anlagenvermittler sollte die ihm obliegende Prospektprüfungspflicht ausreichend nachkommen und die durchgeführte Prüfung auch entsprechend dokumentieren, um nachzuweisen, dass er den Prospekt mit „banküblichen Sachverstand“ (Maßstab für Anlageberater) oder auf „Plausibilität“ (Maßstab für Anlagenvermittler) untersucht hat.
b. Maßnahmen im Nachgang eines Haftungsfalls
Wird nur der Anlageberater/Anlagevermittler durch einen geschädigten Anleger gerichtlich in Anspruch genommen, empfiehlt es sich, dass der Anlageberater/Anlagevermittler den Emittenten/Anbieter gem. §§ 72 ff. ZPO den Streit verkündet, um so im Folgeprozess zwischen dem Anlageberater/Anlagevermittler und den Emittenten/Anbieter das Gericht an die Tatsachenfeststellungen und dessen rechtliche Beurteilungen aus dem Erstprozess zu binden. Stellt das erste Gericht einen Prospektfehler fest und verurteilt es den Anlageberater/Anlagevermittler deswegen zu Schadensersatz gegenüber dem Anleger, kann der Anlageberater/Anlagevermittler den Emittenten/Anbieter in Regress nehmen (vgl. Buck-Heeb/Dieckmann, BKR 2020, S. 425, S. 430).
Zwischen Anlageberater/Anlegervermittler einerseits und Emittent/Anbieter andererseits besteht dabei ein Gesamtschuldverhältnis, da die spezialgesetzliche Prospekthaftung der Emittenten/Anbieter und die Prospekthaftung i.w.S./Vertragshaftung der Anlageberater/Anlegervermittler auf Schadensersatz gerichtet sind. Sie schulden insoweit dem Anleger dieselbe „ganze Leistung“ i.S.v. § 421 BGB.
Der Gesamtschuldnerregress gem. § 426 BGB bemisst sich nach dem Gesichtspunkt der Mitverantwortlichkeit danach, wer in welchem Umfang die Verantwortlichkeit für den Eintritt des Schadens beim Anleger trägt (vgl. Buck-Heeb/Dieckmann, BKR 2020, S. 425, S. 430). Liegt etwa nach dem (Rahmen-) Vertriebsvertrag die Verantwortlichkeit für den Prospekt beim Emittenten/Anbieter, so haftet der Emittent/Anbieter im Innenverhältnis selbst. Auch ohne eine solche vertragliche Risikoaufteilung spricht einiges dafür, dass den Emittenten/Anbieter die überwiegende Verantwortlichkeit trifft.
Im Rahmen des Gesamtschuldnerregresses gem. § 426 BGB ist aber zu berücksichtigen, dass insoweit nur die Kosten der Rückabwicklung (d.h. der Kaufpreis für das Kapitalmarktprodukt) vom Anlageberater/Anlagevermittler geltend gemacht werden kann. Macht der Anleger darüber hinaus auch entgangenen Gewinn gegenüber dem Anlageberater/Anlagevermittler geltend, kann der Anlageberater/Anlagevermittler nicht im Wege des Gesamtschuldnerregresses, sondern nur auf der Grundlage eines bestehenden (Rahmen-) Vertriebsvertrages den entgangenen Gewinn im Regresswege gegenüber dem Emittenten/Anbieter geltend machen.
Dr. Ingo Janert (Stand: 13. November 2020, Justizpalast in München)