In diesem Beitrag geht es um den Rückzug von der Börse (Delisting oder Going Private) als Umkehrbewegung der Going-Public-Bewegung in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten. Vorteile des Rückzuges von der Börse sind etwa der Entfall der Kosten der regelmäßigen Publizitäts- und Mitteilungspflichten, Entfall von Investor-Relations-Kosten sowie eine Reduzierung der regelmäßigen Plenarsitzungen des Aufsichtsrats auf zwei Sitzungen pro Jahr.
Für die Anleger sind mit einem Delisting aber auch Nachteile verbunden. So verlieren die Wertpapiere ihre Verkehrsfähigkeit, d.h. die Anleger können die Wertpapiere nach einem Börsenrückzug nicht mehr über einem staatlich kontrollierten Markt verkaufen (vgl. nur Poelzig, Kapitalmarktrecht, 2. Auflage, München 2021, Rn. 199).
1. Unterscheidung zwischen verschiedenen Formen des Delisting
Mit dem Börsenrückzug ist in den meisten Fällen der vollständige Rückzug vom Regulierten Markt verbunden, so dass keine Aktien mehr an der Börse notiert sind.
Allen Formen des Börsenrückzuges ist gemeinsam, dass die Wertpapiere nicht mehr an einem Regulierten Markt notiert werden. Da der Freiverkehr nur ein privatrechtlich organisierter Markt unter dem Dach des jeweiligen Freiverkehrsträgers ist, handelt es sich beim Rückzug vom Freiverkehr nach der h.M. nicht um ein Delisting, so dass § 39 BörsG in diesem Fall weder direkt noch analog zur Anwendung gelangt. Vielmehr erfolgt die Beendigung der Notierung der Wertpapiere im Freiverkehr durch Kündigung nach Maßgabe der einschlägigen Freiverkehrsrichtlinie.
Mit Blick auf das Delisting sind nachfolgende Arten zu unterscheiden:
a. Reguläres Delisting
Von einem regulären Delisting spricht man immer dann, wenn sich der Emittent aus dem Regulierten Markt an allen Bösen zurückzieht (§ 39 BörsG). Dies kann zum einen durch einen Widerruf der Zulassung der Wertpapiere durch die Börsengeschäftsführung gem. § 39 Abs. 1 BörsG (z.B. Nichterfüllung der Zulassungsfolgepflichten des Emittenten trotz angemessener Fristsetzung) sowie zum anderen aufgrund des Antrages des Emittenten selbst gem. § 39 Abs. 2 BörsG (z.B. Entscheidung des Emittenten zum Rückzug von der Börse) erfolgen.
b. Cold Delisting
Von einem Cold Delisting (unechtes Delisting) wird immer dann gesprochen, wenn der Börsenrückzug durch gesellschaftsrechtliche Umstrukturierungen vollzogen wird. Der Rückzug von der Börse erfolgt also im Unterschied zum regulären Delisting (§ 39 BörsG) durch den bloßen Wegfall der Börsenfähigkeit des Emittenten. Wichtigste Maßnahmen sind etwa die Umwandlung der Gesellschaft in eine von der AG und der KGaA abweichenden Rechtsform (z.B. in eine GmbH) oder die Verschmelzung einer börsennotierten Gesellschaft auf eine Gesellschaft, deren Wertpapiere nicht an einer Börse notiert sind (sog. Going Private Merger).
c. Downgrading
Von einem Downgrading wird immer dann gesprochen, wenn die Wertpapiere des Emittenten nicht mehr im Regulierten Markt, sondern nur noch im Freiverkehr gehandelt werden sollen. Es handelt sich insoweit um einen Segmentwechsel vom Regulierten Markt in den Freiverkehr. Da die Wertpapiere bei einem Downgrading nur noch im privatrechtlich organisierten Freiverkehr notiert sein sollen, finden die Bestimmungen des Delisting auch auf das Downgrading Anwendung.
2. Schutz des Anlegers beim Delisting
Der Schutz der Anleger beim Delisting erfolgt dabei nicht mehr gesellschaftsrechtlich, sondern nur noch kapitalmarktrechtlich:
a. Kein gesellschaftsrechtlicher Schutz der Anleger
Ein Hauptversammlungsbeschluss der Gesellschaft ist für ein Delisting nach neuerer Rechtsprechung nicht mehr erforderlich (vgl. nur Frosta-Beschluss des BGH vom 08. Oktober 2013). Da es sich bei dem Delisting nicht um eine Strukturentscheidung bezüglich der Gesellschaft handelt, liegt insoweit kein Fall einer ungeschriebene Hauptversammlungskompetenz i.S.d. Holzmüller-Doktrin vor. Ferner wird durch den Rückzug von der Börse zwar die tatsächliche, nicht aber die rechtliche Verkehrsfähigkeit der Wertpapiere aufgehoben, so dass der Schutzbereich der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG nicht berührt wird. Die Wertpapiere können nach einem Börsenrückzug nicht mehr so einfach gehandelt werden, können aber trotz dieser praktischen Erschwernis weiterhin außerbörslich verkauft werden (vgl. hierzu auch Poelzig, a.a.O., Rn. 204).
Da der BGH in seiner vorerwähnten Entscheidung auf einen Hauptversammlungsbeschluss, der ein angemessenes Abfindungsangebot beinhalten musste, verzichtete, fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage für einen entsprechenden Abfindungsanspruch. Da sich ein Abfindungsanspruch auch nicht aus einer Analogie zu umwandlungs- und aktienrechtlichen Vorschriften begründen lässt, haben die Anleger keinen Anspruch auf Abfindung gegen Rückgabe ihrer Wertpapiere (vgl. hierzu eingehend Poelzig, a.a.O., Rn. 205 f.).
b. Kapitalmarktrechtlicher Schutz der Anleger
Der Schutz der Anleger bei einem Delisting vollzieht sich seit dem Jahr 2015 nach den nachfolgenden kapitalmarktrechtlichen Bestimmungen:
- Bei Wertpapieren, die an einer Wertpapierbörse notiert sind, muss dem Delisting-Antrag des Emittenten ein Abfindungsangebot nach den Bestimmungen des WpÜG vorausgegangen sein (§ 39 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 BörsG, sog. Exit-Angebot) oder die Wertpapiere müssen noch an einem anderen Regulierten Markt zum Handel zugelassen bleiben (§ 39 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 BörsG, sog. Teil-Delisting).
- Bei allen Wertpapieren darf der Widerruf der Börsenzulassung nicht dem Schutz des Anlegers widersprechen (§ 39 Abs. 2 S. 2 BörsG).
3. Rechtsschutz beim Delisting
Für die Frage des Rechtsschutzes im Zusammenhang mit einem regulären Delisting ist zwischen dem verwaltungsrechtlichen und dem zivilrechtlichen Rechtsschutz zu unterscheiden:
a. Verwaltungsrechtlicher Rechtsschutz
Wenn die Börsengeschäftsführung gem. § 39 Abs. 1 BörsG die Zulassung der Wertpapiere widerrufen hat (z.B. wegen Nichterfüllung der Zulassungsfolgepflichten des Emittenten trotz angemessener Fristsetzung), sind der Emittent und die Emissionsbegleiter zum Widerspruch und zur Anfechtungsklage berechtigt. Eine Antrags- und Klagebefugnis der Anleger gem. § 42 Abs. 2 VwGO analog dürfte in diesem Fall auch anzunehmen sein, weil § 39 Abs. 1 BörsG m.E. einen entsprechenden Drittschutz vermittelt.
Schwieriger ist die Frage zu beurteilen, ob die Anleger widerspruchs- bzw. klagebefugt sind (§ 42 Abs. 2 VwGO analog), wenn die Börsengeschäftsführung die Zulassung der Wertpapiere gem. § 39 Abs. 2 BörsG auf einen Antrag des Emittenten widerrufen hat. Diese Frage ist umstritten (vgl. zum Meinungsstand nur Poelzig, a.a.O., Rn. 211). M.E. ist unter Zugrundelegung des Beschlusses des VGH Hessen vom 22. Februar 2021 wie folgt zu unterscheiden:
- Soweit der Anleger geltend macht, es fehle an einem Erwerbsangebot oder sonst an der Erfüllung der Voraussetzungen des § 39 Abs. 2 BörsG, vermittelt die Vorschrift einen entsprechenden Drittschutz, so dass der Anleger insoweit widerspruchs- bzw. klagebefugt ist.
- Soweit der Anleger hingegen geltend macht, dass die Voraussetzungen des § 39 Abs. 3 BörsG nicht gegeben sind, besteht keine Anfechtungs- bzw. Klagebefugnis gem. § 42 Abs. 2 VwGO analog, weil der Ausschluss des verwaltungsrechtlichen Rechtsschutzes nach § 39 Abs. 6 BörsG für sämtliche Tatbestandsmerkmale des § 39 Abs. 3 BörsG gilt. Der Anleger kann sein Rechtsschutzinteresse also nicht verwaltungsrechtlich, sondern nur – wie nachfolgend dargestellt – zivilrechtlich verfolgen.
b. Zivilrechtlicher Rechtsschutz
Die Anleger können ihren Anspruch auf eine angemessene Gegenleistung gem. § 39 Abs. 3 S. 2 BörsG i.V.m. § 31 WpÜG vor den ordentlichen Gerichten geltend machen (vgl. nur Poelzig, a.a.O., Rn. 212).
Dr. Ingo Janert (Stand: 27. Juli 2023, Bild von Pexels auf Pixabay)