Auch wenn der Epochenwechsel in Europas Börsenlandschaft, über die die FAZ am 17. November 2022 berichtete, nicht unmittelbar das Kapitalmarktrecht betrifft, so macht das aktuelle Ranking deutlich, welcher Börsenstandort in Europa im Kapitalmarkt künftig den Ton angibt.
Nach der Marktkapitalisierung der gelisteten Unternehmen war vor wenigen Jahren noch die London Stock Exchange (LSE) mit einem Börsenwert von fast 4 Billionen Euro in Europa unangefochten führend. Mit einem Börsenwert der notierten Unternehmen von jeweils rund 2,5 Billionen Euro gruppierten sich die Börse Paris (Euronext) und die Frankfurter Wertpapierbörse (FWB) mit einem deutlichen Abstand hinter der LSE.
Nach Einschätzung vom Marktteilnehmern hat vor allem der Währungsverlust des englischen Pfunds sowie der Brexit zu einem erheblichen Verlust der Marktkapitalisierung der an der LSE notierten Unternehmen und damit dazu geführt, dass die LSE nicht mehr die bedeutendste Börse in Europa ist.
Die Börsenkapitalisierung der an der LSE notierten Unternehmen ist in den vergangenen Jahren so erheblich geschrumpft, dass die an der LSE notierten Unternehmen nach aktuellen Daten nur noch auf einen Börsenwert von insgesamt 2,81 Billionen Euro kommen. Die Börse Paris konnte hingegen ihren Börsenwert in den vergangenen Jahren steigern und ist mit einem Börsenwert von 2,83 Billionen Euro nunmehr der bedeutendste Börsenstandort in Europa.
Blick in den Handelsraum der Euronext Paris – Stand November 2022 Europas führende Börse. Bild von Euronext Paris.
Die Frankfurter Wertpapierbörse (FWB) konnte in den vergangenen Jahren nicht einmal ihren Börsenwert halten, sondern die an der FWB notierten Unternehmen verloren sogar erheblich an Wert, sodass Deutschlands bedeutendste Wertpapierbörse nur noch auf einen Börsenwert von 2,1 Billionen Euro kommt – knapp vor der Schweizer Wertpapierbörse in Zürich.
Ein weiterer Gewinner im Vergleich der europäischen Börsenstandorte ist neben der Pariser Börse auch die Börse in Amsterdam, die mit einem Börsenwert von 900 Milliarden Euro noch vor den Börsen in Italien und Spanien den fünften Rang einnimmt. Nach Einschätzung vieler Marktteilnehmer ist die Attraktivität der Börse Amsterdam auch auf ein einfacheres Kapitalmarktrecht zurückzuführen. Zudem gilt der Standort Amsterdam auch aus steuerlichen Gründen für Unternehmenssitze als attraktiv.
Die veränderte Börsenlandschaft in Europa muss gerade für die deutsche Volkswirtschaft als größte in der Eurozone ein deutliches Warnzeichen sein. Im Bereich des Kapitalmarkts wird Deutschland nach und nach durchgereicht, was sich auch daran zeigt, dass es in diesem Jahr mit Ausnahme des Börsengangs von Porsche kaum nennenswerte Börsengänge an der Frankfurter Wertpapierbörse gab. Der deutsche Kapitalmarkt muss nicht nur für Börsengänge, sondern allgemein für börsennotierte Unternehmen attraktiver werden. Das sehr komplizierte deutsche Kapitalmarktrecht sollte daher möglichst vereinfacht und nach Möglichkeit dereguliert werden.
Dr. Ingo Janert (Stand: 17. November 2022, Bild von Euronext Paris)