Wie sieht der Fahrplan für die europäische Regulierung zur Nachhaltigkeit (ESG) aus?

Nachhaltigkeit (ESG) in der Finanzbranche

In diesem Beitrag soll dargestellt werden, welche europäischen Regulierungsakte die Kommission zur Nachhaltigkeit (ESG) in der Finanzdienstleistungsbranche bereits angestoßen und wann die Finanzbranche mit der Umsetzung der ESG-Regulierung zu rechnen hat.

1. Einführung in das Thema der Nachhaltigkeit (ESG)

Die Europäische Union treibt den Klimaschutz in großen Schritten voran und verlangt auch vom Finanzdienstleistungssektor, dass dieser einen erheblichen Beitrag zur Nachhaltigkeit der europäischen Volkswirtschaften leistet.

Das Thema der Nachhaltigkeit – besser bekannt unter der Abkürzung ESG (Envoirement, Social, Governance) – wurde bislang im Finanzdienstleistungssektor freiwillig von einigen Finanzmarktteilnehmern verfolgt. In Vollzug des Aktionsplans zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums aus dem Jahr 2018 hat die Kommission mehrere verschiedene Gesetzgebungsvorhaben angeschoben, die beginnend ab dem Jahr 2021 auf die Finanzbranche zukommen.

a. Bedeutung von ESG

Die Kommission sieht insbesondere den Übergang zu einer CO2-armen, nachhaltigeren und ressourceneffizienten Kreislaufwirtschaft als einen wesentlichen Beitrag zur langfristigen Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union. Sie möchte über die Lenkung der Kapitalströme erreichen, dass nachhaltige Wirtschaftsbereiche und Produktionsverfahren unterstützt werden. In diesem Zusammenhang vertritt die Kommission die Auffassung, dass die Berücksichtigung nachhaltigkeitsbezogener Faktoren bei Investitionsentscheidungen und Beratungsprozessen die Stabilität des Finanzsystems und die Widerstandsfähigkeit der Realwirtschaft erhöhen kann.

Auch wenn sich die ersten europäischen Rechtsetzungsakte, wie z.B. die Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten in Finanzdienstleistungssektor vom 27. November 2019 (sog. Offenlegungsverordnung), an bestimmte Finanzmarktteilnehmer und Finanzberater, wie z.B. die Verwalter von OGAW/AIF oder Wertpapierfirmen, die Anlageberatung erbringen, richten, haben die weiteren ESG-Regulierungsakte, wie z.B. das geplante Ecolabel für Fonds, unmittelbar oder auch nur mittelbar Auswirkungen für die gesamte Finanzdienstleistungsbranche.

Da das Thema Nachhaltigkeit (ESG) ganz oben auf der europäischen Regulierungsagenda steht und nicht zu erwarten ist, dass dieses Thema in den kommenden Jahren von der europäischen Tagesordnung genommen wird, empfiehlt es sich, dieses Thema nicht als „Überregulierung aus Brüssel“ zu begreifen, sondern die Zukunftschancen für dieses Thema zu erkennen und beherzt umzusetzen.

b. Definition von ESG

Unter der Abkürzung „ESG“ wird im Zusammenhang mit der geplanten Nachhaltigkeitsregulierung im Finanzdienstleistungssektor eine nachhaltige Investition verstanden, die die drei Nachhaltigkeitsziele der Envoirement („E“), Social („S“) und „Governance“ („G“) verfolgt.

Der Begriff der „nachhaltigen Investition“ wird in Art. 2 Buchstabe 17 der Offenlegungsverordnung näher definiert:

  • Envoirement: Unter diesem Ziel wird eine Investition in eine wirtschaftliche Tätigkeit verstanden, die zur Erreichung eines Umweltziels beiträgt, gemessen beispielsweise an Schlüsselindikatoren für Ressourceneffizienz bei der Nutzung von Energie, erneuerbare Energie, Rohstoffen, Wasser und Boden, für die Abfallerzeugung, und Treibhausgasimmissionen oder für die Auswirkungen auf die biologische Vielfalt und die Kreislaufwirtschaft.
  • Social: Unter diesem Ziel wird eine Investition in eine wirtschaftliche Tätigkeit verstanden, die zur Erreichung eines sozialen Ziels beiträgt, insbesondere eine Investition, die zur Bekämpfung von Ungleichheiten beiträgt oder den sozialen Zusammenhalt, die soziale Integration und die Arbeitsbeziehungen fördert oder eine Investition in Humankapital oder zugunsten wirtschaftlich oder sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen.
  • Governance: Unter diesem Ziel wird die Investition in ein Unternehmen verstanden, das Verfahrensweisen einer guten Unternehmensführung anwendet, insbesondere mit soliden Managementstrukturen, den Beziehungen zu den Arbeitnehmern, der Vergütung von Mitarbeitern sowie der Einhaltung der Steuervorschriften.

c. Kriterien von ESG

Mit Blick auf die Nachhaltigkeitsziele ergibt sich aus dem Begriff der nachhaltigen Investition, dass eine Investition in ein Unternehmen weder das ökologische noch das soziale Ziel erheblich beeinträchtigen und das Unternehmen die Verfahrensweisen einer guten Unternehmensführung anwenden soll.

Die Nachhaltigkeitsziele sind danach als gleichwertig zu betrachten, d. h. eine Vorrangstellung eines Nachhaltigkeitsziels zulasten eines anderen ist nach den bestehenden Rechtsetzungsakten nicht anzunehmen. Bei einigen Rechtsetzungsakten, wie z.B. bei der geplanten EU-Taxonomie, soll das Ziel einer guten Unternehmensführung indes nicht explizit als gesondertes Nachhaltigkeitsziel vorgesehen werden.

2. Geplante Regulierungen zur Nachhaltigkeit (ESG)

Nachfolgend soll der Fahrplan der europäischen ESG- Regulierung in den kommenden Jahren kurz dargestellt werden.

a. Inkrafttreten der Offenlegungsverordnung

Als ersten Schritt auf dem Weg zur Nachhaltigkeit in der Finanzdienstleistungsbranche lässt sich das Inkrafttreten der Offenlegungsverordnung am 10. März 2021 (oder ggf. später) begreifen.

Nach dieser Verordnung werden die Finanzmarktteilnehmer und Finanzberater, die Anlageberatung oder Versicherungsberatung für Versicherungsanlageprodukte (IBIP) anbieten, verpflichtet, unabhängig von der Gestaltung eines Finanzprodukts und eines Zielmarkts schriftliche Strategien zur Einbeziehung von Nachhaltigkeitsrisiken zu veröffentlichen und für die Transparenz dieser Einbeziehung zu sorgen. Von Verordnung wird das gesamte Spektrum von institutionellen Anlegern und Vermögensverwaltern erfasst. Nur Finanzberater, die weniger als drei Personen beschäftigen, sind vom Anwendungsbereich der Offenlegungsverordnung ausgenommen.

In der Konsequenz haben die Finanzmarktteilnehmer vorvertragliche Information für jedes Finanzprodukt zu erstellen, die in qualitativer oder quantitativer Hinsicht offenlegen, wie die wichtigsten nachteiligen Auswirkungen berücksichtigt werden. Zudem sollen sie eine Erklärung darüber vorlegen, dass die Informationen über die wichtigsten nachteiligen Auswirkungen auf die Nachhaltigkeitsfaktoren im Rahmen der laufenden Berichterstattung verfügbar sind. Ferner soll zur Erhöhung der Transparenz und zur Unterrichtung der Anleger Kurzinformationen auf den Internetseiten der Finanzmarktteilnehmer und Finanzberater gegeben werden, wie diese relevante – wesentliche oder wahrscheinlich wesentliche – Nachhaltigkeitsrisiken in ihren Investitionsentscheidungsprozessen bzw. in Beratungsprozessen einbeziehen.

Ob der Zeitplan zur Umsetzung der Offenlegungsverordnung einzuhalten ist, wird von vielen bezweifelt. Das Konsultationsverfahren zu den technischen Regulierungsstandards zur Offenlegungsverordnung läuft noch bis zum 1. September 2020. Angesichts der nur kurz bemessenen Zeit bis zum Inkrafttreten der Offenlegungsverordnung am 10. März 2021 bleibt abzuwarten, ob die Anwendungsfrist der Verordnung nicht doch noch verschoben wird.

b. Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen beim Kunden

Nach den Planungen der Kommission sollen Wertpapierdienstleistungsunternehmen voraussichtlich ab Ende 2021 im Rahmen der Anlageberatung die sog. Nachhaltigkeitspräferenzen ihrer Kunden abfragen. Auch wenn zum derzeitigen Zeitpunkt noch kein finaler Entwurf vorliegt, soll die Umsetzung in Gestalt einer Änderung der MiFID II-Vorgaben erfolgen.

Legt die Kommission den finalen Rechsetzungsakt hierfür vor, so müssen noch der EU-Rat und das EU-Parlament zustimmen. Ob auch insoweit der Zeitplan eingehalten werden kann, ist insoweit auch angesichts der Corona-Pandemie offen.

c. Inkrafttreten der Taxonomieverordnung

Ende 2019 wurde auf europäischer Ebene der Weg für ein Klassifizierungssystem für ökologisch nachhaltiges Wirtschaften, die sog. Taxonomie, auf den Weg gebracht. Der Geschäftszweig eines Unternehmens soll zukünftig als ökologisch nachhaltig zu qualifizieren sein, wenn der Unternehmenszweig zu einem der nachfolgend genannten ökologischen Ziele beiträgt:

  • Klimaschutz
  • Anpassung an den Klimawandel
  • Nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeres­ressourcen
  • Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Abfallvermeidung und Recycling
  • Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung
  • Schutz gesunder Ökosysteme.

Als nachhaltig im vorgenannten Sinne ist dabei eine Investition anzusehen, die einen wesentlichen Beitrag zur Verwirklichung eines oder mehrerer der genannten ökologischen Ziele leistet, ohne ein anderes Umweltziel erheblich zu beeinträchtigen.

Die technischen Kriterien für die Umsetzung der vorgenannten Umweltziele sollen nach Angaben der Kommission voraussichtlich bis Ende 2022 erfolgen. In diesem Zusammenhang will die Kommission im kommenden Jahr auch zum Thema der sozialen Taxonomie Stellung nehmen. Eine eigene Taxonomie zum Thema der guten Unternehmensführung ist indessen nicht geplant.

d. Einführung eines Ecolabels in der Finanzdienstleistungsbranche

Im Hinblick auf das europäisches Projekt des Ecolabels für Fonds will die Kommission bis Ende 2020 Vorschläge vorstellen, wie die Kriterien eines Ecolabels für Fonds aussehen können. Das Ecolabel für Fonds soll dabei Privatanlegern Orientierung geben, in welchen nachhaltigen Fonds sie investieren möchten.

Die bisherigen Entwürfe sehen derzeit etwa vor, dass Aktienfonds mit Ecolabel mindestens 20 Prozent ihrer Anlagesumme in Unternehmen investieren, die ihren Umsatz mindestens zur Hälfte aus nachhaltigen Geschäftsfeldern erzielen, wobei bei weiteren 40 Prozent ein Fünftel der Umsätze taxonomiekonform sein müssen. Bei Fonds, die in verschiedenen Sektoren investieren, dürften diese Vorgaben in der Praxis nur schwer einzuhalten sein. Aus diesem Grund werden die bisherigen Entwürfe auch sehr kritisch bewertet.

Zu enge ESG-Vorgaben haben zudem den Nachteil, dass sie die Produktauswahl für Privatkunden erheblich einschränken würden. Um im Hinblick auf die Nachhaltigkeitsziele auf der sicheren Seite zu sein, bestünde insoweit die Gefahr, dass nur noch Fonds mit Ecolabel vertrieben werden würden.

e. Änderung der Benchmarkverordnung

Schließlich arbeitet die Kommission derzeit auch an Kriterien für Indizes, die Anleger bei der Umsetzung einer kohlenstoffärmeren Investitionsstrategie unterstützen sollen. Dafür soll die Benchmarkverordnung ergänzt werden.

Die Kriterien für die beiden Indizies für Aktien und Anleihen („EU Climate Transition Benchmark“ und „EU Paris-aligned Benchmark“) hat die Kommission bereits vorgestellt.

Die Konsultation zu den Rechtsvorschriften ist bereits abgeschlossen, wurde aber bislang noch nicht veröffentlicht.

Dr. Ingo Janert (Stand: 28. Juli 2020, Bild von Free-Photos auf Pixabay)

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