Dieser Beitrag geht der Frage nach, was der am 24. November 2021 veröffentliche Koalitionsvertrag des Ampelbündnisses zur Regulierung des Kapitalmarkts vorsieht.
1. Vorbemerkung
Die drei Bundestagsfraktionen der SPD, FDF und Bündnis 90/Die Grünen haben am Nachmittag des 24. November 2021 in Berlin den in den vergangenen Wochen ausverhandelten Koalitionsvertrag vorgestellt. Der Koalitionsvertrag gibt den Rahmen des zukünftigen Regierungshandelns der drei Bündnispartner für die Jahre 2021 bis 2025 vor.
Der 178 Seiten starke Koalitionsvertrag steht unter dem Titel „Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“. Der Koalitionsvertrag ist hier als pdf-Dokument abrufbar.
2. Regulierungsziele des Koalitionsvertrages vom 24. November 2021
Der Koalitionsvertrag vom 24. November 2021 behandelt die verschiedenen Themen, die unter dem Begriff der Kapitalmarktregulierung zusammengefasst werden, ab Seite 168 ff. des Vertrages. Die wichtigsten Regulierungsvorhaben der Ampelfraktionen in der kommenden Legislaturperiode sind:
a. Stärkung des europäischen Kapitalmarkts
In den Randziffern 5723 bis 5730 führt die Ampelkoalition aus, dass sie den europäischen Kapitalmarkt stärken will. So heißt es wörtlich im Koalitionsvertrag:
Wir setzen uns für einen leistungsstarken europäischen Banken- sowie Kapitalmarkt ein, der durch Wettbewerb und Vielfalt der Geschäftsmodelle geprägt ist. Wir wollen die Kapitalmarktunion vertiefen. Dazu werden wir die Barrieren für grenzüberschreitende Kapitalmarktgeschäfte in der EU abbauen und den Zugang von KMU zum Kapitalmarkt erleichtern. Wir werden uns auf Ebene der EU dafür einsetzen, Unterschiede im Insolvenz-, Steuer-, Verbraucherschutz-, Aufsichts- und Gesellschaftsrecht abzubauen. Wir werden bei der Überarbeitung der Finanzmarktregeln MiFID/MiFIR die Markttransparenz stärken, um der Fragmentierung des europäischen Wertpapierhandels entgegenzuwirken.
Die Ziele zur Stärkung des europäischen Kapitalmarkts sind sehr allgemein gehalten und enthalten wenig greifbare allgemeine Regelungsziele. Dies ist auch nachvollziehbar, da die Regulierungsvorhaben – wie etwa die Überarbeitung der MiFID und MiFIR-Regeln – nur auf europäischer Ebene umgesetzt werden können und Berlin insoweit nicht allein handeln kann. Insoweit bleibt festzuhalten, dass es sich hierbei um allgemeine Regelungsziele und nicht um konkrete Regulierungsvorhaben handelt.
b. Stärkung des deutschen Wagniskapitalmarkts
Zur Ertüchtigung des deutschen Wagniskapitalmarkts heißt es in den Randziffern 5733 bis 5737 des Koalitionsvertrages:
Deutschland soll führender Start-Up-Standort in Europa werden. Der Zukunftsfonds wird den Wagniskapitalmarkt auch für institutionelle Investoren öffnen und die deutsche Finanzierungslandschaft über eine flexible Modulausgestaltung gezielt ergänzen. Wir werden Börsengänge und Kapitalerhöhungen sowie Aktien mit unterschiedlichen Stimmrechten (Dual Class Shares) in Deutschland gerade auch für Wachstumsunternehmen und KMUs erleichtern.
Auch wenn die Stärkung des deutschen Wagniskapitalmarkts allein in Berlin durchgesetzt werden kann, gibt der Koalitionsvertrag auch insoweit nur allgemeine Regelungsvorhaben vor. So planen die Ampelpartner, insbesondere die börsliche Finanzierung für Wachstumsunternehmen und KMU´s zu erleichtern. In diesem Kontext plant die künftige Regierung wohl eine Änderung des Aktienrechts und des Börsenrechts, wenn sie vorgibt, Börsengänge und Kapitalerhöhungen zu erleichtern und Dual Class Shares zu fördern.
c. Beschränkung des Börsenhandels
In den Randziffern 5759 bis 5761 des Koalitionsvertrages finden sich das erste Mal offensichtlich moralisch intendierte Regelungsziele im Bereich des Börsenrechts. So soll der Börsenhandel wie folgt beschränkt werden:
Verzerrungen durch Hochfrequenzhandel wollen wir durch geeignete Marktregeln begrenzen. Die Spekulation mit Nahrungsmitteln wollen wir durch die Absenkung der Positionslimits auf europäischer Ebene begrenzen.
Die Ampelkoalition will „Verzerrungen durch Hochfrequenzhandel“ durch „geeignete Marktregeln“ begrenzen. Sie lässt dabei aber offen, was sie hierunter genau versteht. Deutlicher wird der Koalitionsvertrag hingegen bei der „Spekulation mit Nahrungsmitteln“: diese sollen durch die Absenkung der Positionslimits auf europäischer Ebene begrenzt werden.
d. Stärkung der Finanzmarktaufsicht
Wie von annähernd allen Ampelparteien im Bundestagswahlkampf gefordert, sieht auch Koalitionsvertrag vom 24. November 2021 eine Stärkung der Finanzmarktaufsicht vor (vgl. Randziffern 5763 bis 5771 und 5777):
Wir wollen die Reform der deutschen Finanzaufsicht BaFin fortsetzen. Die Zusammenarbeit und der Informationsaustausch zwischen den verschiedenen Aufsichtsbereichen der BaFin sowie mit anderen deutschen und internationalen Behörden muss intensiviert werden. Die BaFin muss als Arbeitgeberin attraktiver werden. Die Gründung, Übernahme, Umstrukturierung oder Kapitalstärkung von Banken und Finanzdienstleistern soll zügiger als bisher möglich sein. Wir werden uns für eine stärkere Standardisierung für die Erstellung von Prospekten einsetzen. Wir werden die Fähigkeiten der BaFin bei der Prüfung von Vermögensanlageprospekten weiter stärken. Wir werden den Verbraucherbeirat der BaFin weiter stärken. (…)
Wir werden die BaFin beauftragen, Regulierungslücken im Grauen Kapitalmarkt zu identifizieren.
Nach den Vorstellungen der Ampelparteien soll die BaFin innerorganisatorisch verbessert und personell gestärkt werden, wenn es etwa heißt, dass die BaFin als Arbeitgeberin attraktiver werden soll. Dies ist wohl eine Lehre, die die Bündnispartner aus der Insolvenz des Wirecard-Konzern gemeinsam gezogen haben.
Im Hinblick auf das Prospektrecht unterscheidet die künftige Ampelkoalition wohl zwischen den europäischen Prospektrecht einerseits und dem deutschen Vermögensanlageprospektrecht andererseits. So will sich die künftige Koalition auf europäischer Ebene für eine stärkere Standardisierung von Prospekten (z.B. Wertpapierprospektverordnung) einsetzen, was aus Sicht der Emittenten durchaus wünschenswert ist. Im Hinblick auf das deutsche Vermögensanlageprospektrecht soll die BaFin-Aufsicht weiter gestärkt werden. Das kritische Verhältnis der Ampelkoalitionäre zu Vermögensanlagen wird auch darin sichtbar, dass (weitere) Regulierungslücken im „Grauen Kapitalmarkt“ identifiziert werden soll, was auf eine Änderung des VermAnlG hinauslaufen wird.
e. Stärkung eines die Nachhaltigkeit fördernden Kapitalmarkts
Das vor allem von den Grünen mit Vehemenz verfolgte Ziel des Umbaus Deutschlands zu einem klimaneutralen Land vollzieht sich auch im Bereich des Kapitalmarkts. So heißt es hierzu in den Randziffern 5783 bis 5798 im Koalitionsvertrag vom 24. November 2021:
Wir wollen Deutschland zum führenden Standort nachhaltiger Finanzierung machen und uns dabei am Leitbild der Finanzstabilität orientieren. Angemessene Rahmenbedingungen für nachhaltige Finanzprodukte unterstützen wir. Nicht-risikogerechte Eigenkapitalregeln lehnen wir ab. Klima- und Nachhaltigkeitsrisiken sind Finanzrisiken. Wir setzen uns für europäische Mindestanforderungen im Markt für ESG-Ratings und die verbindliche Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken in Kreditratings der großen Ratingagenturen ein.
Wir setzen uns dafür ein, dass auf europäischer Ebene ein einheitlicher Transparenzstandard für Nachhaltigkeitsinformationen für Unternehmen gesetzt wird. Ökologische und gegebenenfalls soziale Werte wollen wir im Dialog mit der Wirtschaft in bestehende Rechnungslegungsstandards integrieren, beginnend mit Treibhausgasemissionen. Wir unterstützen deshalb das Vorhaben der Europäischen Kommission, eine „Corporate Sustainability Reporting Directive“ zu entwickeln.
Die Bundesregierung wird auf Basis der Empfehlungen des Sustainable Finance Beirats eine glaubwürdige Sustainable Finance Strategie mit internationaler Reichweite implementieren. Der Beirat soll als unabhängiges und effektives Gremium fortgeführt werden.
Die Aussagen im Koalitionsvertrag zu diesem Thema sind wiederum nicht sehr konkret. Vielmehr werden nur allgemeine Regulierungsziele vereinbart, was bei Regulierungsvorhaben, die die europäische Ebene betreffen, naturgemäß sein muss. Allerdings verwundert es schon, dass der Koalitionsvertrag zu dem zentralen Thema der Ampelkoalition – der privaten Finanzierung des geplanten Umbaus der deutschen Wirtschaft – derart unkonkret und allgemein bleibt. So scheinen sich die Grünen auch bei diesem Thema in den Koalitionsverhandlungen nicht wirklich durchsetzt zu haben.
Dr. Ingo Janert (Stand: 24. November 2021, Bild von WikimediaImages auf Pixabay)