Der EuGH hat in seiner Entscheidung vom 12. September 2024 (Aktenzeichen: C-17/22, C-18/22, NZA 2024, S. 1339 ff.) die gefestigte BGH-Rechtsprechung zur Auskunft von personenbezogenen Anlegerdaten bei geschlossenen Fonds gekippt. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit dieser neuen EuGH-Entscheidung.
1. Einleitung
Der BGH vertritt seit vielen Jahren die Rechtsauffassung, dass in einer Personengesellschaft, wie z.B. bei einer Publikumspersonengesellschaft in der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft, das Recht eines Gesellschafters, die Namen und Anschrift der Mitgesellschafter zu erfahren, ein „unverzichtbare Kernbereich der Gesellschafterrechte“ sei (vgl. nur BGH, Entscheidung vom 19. November 2019, II ZR 263/18, NZG 2020, S. 381).
Dieses Recht gelte auch für nur mittelbar beteiligte Kommanditisten. Die Kenntnis der Mitgesellschafter – d. h. der unmittelbar und auch nur mittelbar beteiligten Kommanditisten – sei zur effektiven Nutzung der Rechte eines jeden Gesellschafters einer Personengesellschaft erforderlich. Ein in den Treuhandverträgen oft vereinbartes Verbot auf Weitergabe der Anlegerdaten sei insoweit unwirksam.
Nach der Rechtsprechung des BGH begründet nur § 242 BGB (Verbot des Rechtsmissbrauchs) den Anspruch auf die Anlegerdaten, wenn die Ausübung des Auskunftsrechts gegen das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung oder gegen das Schikaneverbot verstößt.
2. Entscheidung des EuGH vom 12. September 2024
Die Entscheidung des EuGH vom 12. September 2024 ist von solch grundsätzlicher Natur, dass nachfolgend der Sachverhalt und die rechtliche Begründung des EuGH im Einzelnen dargestellt werden sollen.
a. Sachverhalt der Ausgangsverfahren
Das Vorabentscheidungsverfahren betraf zwei vor dem Amtsgericht München geführte Rechtsstreitigkeiten, nämlich das Verfahren zwischen der HTB Neunte Immobilienportfolio geschlossene Investment UG & Co. KG („HTB“) und der Müller Rechtsanwaltsgesellschaft mbH (Az.: C-17/22) sowie das Verfahren zwischen der Ökorenta Neue Energien Ökostabil IV geschlossene Investment GmbH & Co. KG („Ökorenta“) und der WealthCap Photovoltaik 1 GmbH & Co. KG, der WealthCap PEIA Komplementär GmbH und der WealthCap Investorenbetreuung GmbH (Az.: C 18-22).
Bei der HTB und der Ökorenta handelt es sich um Investmentgesellschaften, die sich an Publikumspersonengesellschaften, wie der WealthCap Photovoltaik 1 GmbH & Co. KG, beteiligt haben. Die Beteiligung an diesen Publikumspersonengesellschaften ist dabei als Kapitalanlage konzipiert. Die nur mittelbar beteiligten Kommanditisten üben ihre Gesellschafterrechte über die Treuhandkommanditistin der Publikumspersonengesellschaft aus.
Die Investmentgesellschaften HTB und Ökorenta machten vor dem Amtsgericht München auf der Grundlage der gefestigten Rechtsprechung des BGH die Herausgabe von Namen und Anschriften aller mittelbar beteiligten Mitgesellschafter der betreffenden Investmentfonds geltend. Die beklagten Fondsgesellschaften verweigerten die Herausgabe der Anlegerdaten, da nach ihrer Ansicht mit den angeforderten Daten wirtschaftliche Eigeninteressen von HTB und Ökorenta (z.B. Werbung für eigene Investmentprodukte) verfolgt werden sollten.
Das Amtsgericht München legte die beiden Fälle dem EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens vor. Die vor dem Inkrafttreten der DS-GVO ergangene BGH-Rechtsprechung könnte nach der Rechtsauffassung des Gerichts insoweit gegen Art. 6 Abs. 1 lit. b) und f) DS-GVO verstoßen. Der EuGH nahm das Vorabentscheidungsersuchen zum Anlass, sich grundsätzlich mit der vorstehend dargestellten Rechtsprechung des BGH zu beschäftigen.
b. Rechtliche Begründung des EuGH
Der EuGH wies zunächst darauf hin, dass jede Verarbeitung personenbezogener Daten die in Art. 6 Abs. 1 DS-GVO aufgezählten Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen erfüllen muss (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 32).
Da in den beiden Ausgangsverfahren keine Einwilligung in die Verarbeitung personenbezogener Daten (d.h. die Herausgabe der Namen und Anschriften der Mitgesellschafter) gemäß Art. 6 lit. a) DS-GVO vorlag (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 40), wies der EuGH darauf hin, dass die Verarbeitung der personenbezogenen Daten nur auf die eng auszulegenden Rechtfertigungsgründe des Art. 6 Abs. 1 lit. b) bis f) DS-GVO gestützt werden könne (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 37).
aa. Rechtfertigungsgrund des Art. 6 Abs. 1 lit. b) DS-GVO
Zunächst beschäftigte sich der EuGH mit dem Rechtfertigungsgrund des Art. 6 Abs. 1 lit. b) DS-GVO. Nach dieser Bestimmung ist die Verarbeitung personenbezogener Daten rechtmäßig, wenn die Datenverarbeitung für die Erfüllung eines Vertrages erforderlich ist.
Der EuGH entschied zunächst, dass die Weitergabe von Informationen in Bezug auf Gesellschaftern, die über eine Treuhandgesellschaft mittelbar an einer Publikumsfondsgesellschaft beteiligt sind, nicht „für die Erfüllung eines Vertrages (…) erforderlich“ sei, wenn der betreffende Beteiligungs- und Treuhandvertrag, auf dessen Grundlage die mittelbare Beteiligung an dem Investmentfonds erworben wurde, die Weitergabe der Anlegerdaten der Mitgesellschafter ausdrücklich ausschließt (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 47). Das wesentliche Merkmal der mittelbaren Beteiligung an einem Publikumsfondsgesellschaft besteht nach der Rechtsauffassung des EuGH in der Anonymität des mittelbaren Gesellschafters – auch im Verhältnis zu seinen Mitgesellschaftern (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 46).
Damit kippte der EuGH die langjährige Rechtsprechung des BGH. Der BGH nahm bislang an, dass die Weitergabe der Anlegerdaten zur Erfüllung des betreffenden Beteiligungs- und Treuhandvertrages erforderlich sei und hielt ein vertragliches Verbot der Weitergabe der Anlegerdaten in einem Beteiligungs- oder Treuhandvertrages für unwirksam.
bb. Rechtfertigungsgrund des Art. 6 Abs. 1 lit. f) DS-GVO
Des Weiteren beschäftigte sich der EuGH eingehend mit dem Rechtfertigungsgrund des Art. 6 Abs. 1 lit. f) DS-GVO. Nach dieser Bestimmung ist die Verarbeitung personenbezogener Daten rechtmäßig, wenn sie zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte oder Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz dieser Daten erfordern, überwiegen.
Der EuGH verlangt im Rahmen des Grundsatzes der sog. Datenminimierung (Art. 5 Abs. 1 lit.c) DS-GVO) eine dreistufige Verhältnismäßigkeitsprüfung, die der Verhältnismäßigkeitsprüfung im öffentlichen Recht nachgebildet ist: Danach muss auf der ersten Stufe ein berechtigtes Interesse für die Datenverarbeitung wahrgenommen werden, auf der zweiten Stufe muss die Verarbeitung der personenbezogenen Daten zur Verwirklichung des berechtigten Interesses erforderlich sein (Stichwort: mildestes Mittel) und schließlich müssen auf der dritten Stufe die Interessen und Grundrechte und Grundfreiheiten der geschützten Personen nicht überwiegen (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 49).
Der EuGH betonte zunächst, dass die Berufung der Verhältnismäßigkeitsprüfung Aufgabe des Gerichts des Ausgangsverfahrens sei, aber gab dem Amtsgericht München mit Blick auf das Vorabentscheidungsersuchen einige sachdienliche Hinweise (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 55).
Der EuGH erkannte an, dass die Kenntnis über Mitgesellschafter etwa zur gemeinsamen Willensbildung im Rahmen von Gesellschafterbeschlüssen ein berechtigtes Interesse an der Offenlegung der personenbezogenen Daten darstellen könne (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 57). Im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung auf der zweiten Stufe wies der EuGH ausdrücklich darauf hin, dass die Informationsweitergabe über die Treuhandgesellschaft ein milderes Mittel darstellen könne (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 59). Wenn ein mittelbarer Gesellschafter etwa eine Anfrage eines Mitgesellschafters über die Treuhandgesellschaft erhalte, könne dieser frei entscheiden, ob er Kontakt mit dem anfragenden Gesellschafter aufnehmen möchte oder ob er es vorziehen möchte, einer solchen Anfrage nicht nachzukommen und anonym zu bleiben. Schließlich sei auf der dritten Stufe noch die Abwägung der beiderseitigen Interessen vorzunehmen (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 62 ff.).
Im Ergebnis wies der EuGH darauf hin, dass die begehrte Herausgabe der Anlegerdaten in den beiden Ausgangsverfahren aller Voraussicht nach nicht auf den Rechtfertigungsgrund des Art. 6 Abs. 1 lit. f) DS-GVO gestützt werden könne (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 65).
Damit kippte der EuGH auch insoweit die bisherige Rechtsprechung des BGH. Der BGH nahm keine Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall vor und verletzte insoweit den Grundsatz der sog. Datenminimierung.
cc. Rechtfertigungsgrund des Art. 6 Abs. 1 lit. c) DS-GVO
Schließlich beschäftigte sich der EuGH auch mit dem Rechtfertigungsgrund des Art. 6 Abs. 1 lit. c) DS-GVO. Nach dieser Bestimmung ist die Verarbeitung personenbezogener Daten rechtmäßig, wenn sie zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich ist, der der Verantwortliche unterliegt.
Der EuGH wies zunächst darauf hin, dass das Unionsrecht keine Verpflichtung für Investmentfonds und Treuhandgesellschaften vorsieht, personenbezogenen Daten der Gesellschafter, die mittelbar an diesen Fonds beteiligt sind, offenzulegen (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 69). Mit Blick auf die vom BGH angenommene Nichtigkeit einer vertraglichen Bestimmung zum Verbot der Weitergabe der Anlegerdaten wies der EuGH darauf hin, dass diese Rechtsprechung eine Rechtsgrundlage darstellen müsste, die ein im öffentlichen Interesse liegendes Ziel verfolgt und für diesen in einem angemessenen Verhältnis steht, und die betreffende Verarbeitung muss in den Grenzen des absoluten Notwendigen erfolgen (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 73).
Es sei insoweit Aufgabe des Amtsgerichts München, insbesondere festzustellen, ob es nicht Maßnahmen gibt, die es ermöglichen, die Transparenz unter den Gesellschaftern von Personengesellschaften zu gewährleisten und dabei den Schutz der vertraulichen personenbezogenen Daten der mittelbaren Gesellschafter weniger beeinträchtigen als die Pflicht, diese Daten an jeden anderen Gesellschafter weiterzugeben, der darum ersucht (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 74).
3. Ergebnis
Die vorstehend dargestellte Rechtsprechung des EuGH kippt die bisherige Rechtsprechung des BGH zur Offenlegung von Anlegerdaten bei geschlossenen Fonds in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG. Es bleibt daher mit Spannung abzuwarten, wie die deutschen Gerichte und insbesondere der BGH hierauf reagieren werden.
Dr. Ingo Janert (Stand: 29. Oktober 2024, Foto: Gerichtshof der Europäischen Union)