
In diesem Beitrag wird darauf eingegangen, welche Finanzdienstleister ab dem 28. Juni 2025 die Anforderungen der digitalen Barrierefreiheit einzuhalten haben. Die digitale Barrierefreiheit gilt verpflichtend ab dem 28. Juni 2025. Grundlage hierfür ist das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz vom 16. Juli 2021 (BFSG) und die entsprechende Verordnung zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz vom 15. Juni 2022 (BFSGV).
Da § 33 BFSG ein sog. Verbandsklagerecht normiert, besteht die Gefahr, dass nach Inkrafttreten des BFSG Finanzdienstleister von entsprechenden klageberechtigten Verbänden in Anspruch genommen werden, wenn diese die Anforderungen an die digitale Barrierefreiheit nicht oder nicht richtig umgesetzt haben. Darüber hinaus stellt die Nichteinhaltung der Verpflichtungen nach den BFSG eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit einer Geldbuße bis zu Euro 100.000,00 sanktioniert werden kann (§ 37 BFSG).
1. Inhalt und wesentliche Regelungsziele des BFSG
Das BFSG ist die Umsetzung der EU-Richtlinie European Accessibility Act (EAA) in deutsches Recht. Das BFSG wurde am 16. Juni 2021 verabschiedet und tritt nach einer Übergangszeit am 28. Juni 2025 in Kraft.
Nach § 3 Abs. 1 S. 2 BFSG ist eine Dienstleistung barrierefrei, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Die konkreten Anforderungen an die Barrierefreiheit ergeben sich aus der BFSGV. Vereinfacht ausgedrückt sind Finanzdienstleistungen, die über eine Webseite des betroffenen Finanzdienstleisters erbracht werden, so zu gestalten, dass die Benutzung der Webseite den Anforderungen der digitalen Barrierefreiheit genügt.
In zeitlicher Hinsicht ist zu beachten, dass Webseiten im Fall des § 1 Abs. 3 Nr. 2 a) BFSG selbst eine Dienstleistung sind oder im Fall des § 1 Abs. 3 Nr. 5 BFSG nur eine Dienstleistung im elektronischen Geschäftsverkehr enthalten, so dass die Anforderungen des BFSG schon bis zum 27. Juni 2025 erfüllt sein müssen. Allerdings sind nur Inhalte, die nach dem 28. Juni 2025 erstellt, aktualisiert oder überarbeitet werden, anzupassen, wie sich aus dem Umkehrschluss zu § 1 Abs. 4 Nr. 5 BFSG ergibt.
In persönlicher Hinsicht ist zu berücksichtigen, dass Kleinstunternehmen im Sinne von § 2 Nr. 17 BFSG von der Rechtspflicht des § 3 Abs. 1 BFSG ausgenommen sind. Kleinstunternehmen sind allerdings ausschließlich solche, die weniger als zehn Personen beschäftigen und die entweder einen Jahresumsatz von höchstens Euro 2 Mio. erzielen oder deren Jahresbilanzsumme sich auf höchstens Euro 2 Mio. beläuft. Für die meisten Finanzdienstleister dürften daher diese größenabhängige Ausnahme regelmäßig nicht zur Anwendung gelangen.
2. Anwendbarkeit des BFSG auf Finanzdienstleister
Das BFSG gilt gem. § 1 Abs. 3 Nr. 3 BFSG für „Bankdienstleistungen für Verbraucher“, die nach dem 28. Juni 2025 erbracht werden. Geht man umgangssprachlich von dem Begriff der „Bankdienstleistungen“ aus, so könnte man zu dem Schluss kommen, dass das BFSG nur für Banken (d. h. für Kreditinstitute) gilt. Dies ist allerdings nicht der Fall, da in § 2 Nr. 24 BFSG der Begriff der „Bankdienstleistungen für Verbraucher“ deutlich weiter gefasst wird.
a. Bankdienstleistungen
Nach § 2 Nr. 24 lit. a) BFSG gelten als Bankdienstleistungen der Abschluss von Kreditverträgen, was bedeutet, dass derartige Bankdienstleistungen, die im Internet angeboten werden, ab dem 28. Juni 2025 den Anforderungen des BFSG genügen müssen.
Allerdings sind die Bankdienstleistungen von der Regulierung nur in einem sehr begrenzten Rahmen betroffen. Die Bankdienstleistungen müssen entweder vom sehr restriktiven Geltungsbereich des Art. 2 RL 2008/48/EG oder des Art. 3 RL 2014/17/EU erfasst sein, wobei im ersten Fall die enthaltene Höchstgrenze aus Art. 2 Abs. 2 c) RL 2008/48/EG nicht gilt (vgl. Kapoor/Klindt, NJW 2024, S. 3545 ff., S. 3546).
b. Finanzdienstleistungen
Darüber hinaus erfasst § 2 Nr. 24 lit. b) BFSG aber auch Finanzdienstleistungen, die Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten gemäß Anhang I Abschnitt A Nr. 1, 2, 3 und 5 und Nebendienstleistungen gemäß Anhang I Abschnitt B Nr. 1, 2, 4 und 5 der Finanzmarktrichtlinie vom 15. Mai 2014 (MiFID II) sind. Dies gibt sich aus der Gesetzesbegründung zum BFSG (vgl. Drucksache 19/28653, S. 70).
aa. Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten
Danach sind nachfolgende Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten vom BFSG erfasst:
- Annahme und Übermittlung von Aufträgen, die ein oder mehrere Finanzinstrumente zum Gegenstand haben,
- Ausführung von Aufträgen im Namen von Kunden,
- Portfolio-Verwaltung sowie
- Anlageberatung
bb. Nebendienstleistungen
Weiterhin sind nachfolgende Nebendienstleistungen vom BFSG erfasst:
- Verwahrung und Verwaltung von Finanzinstrumenten für Rechnung von Kunden (einschließlich Depotverwaltung oder Sicherheitenverwaltung),
- Gewährung von Krediten oder Darlehen an Anleger für die Durchführung von Geschäften mit einem oder mehreren Finanzinstrumenten, sofern das kredit- oder darlehensgewährende Unternehmen an diesen Geschäften beteiligt ist,
- Devisengeschäfte, wenn diese im Zusammenhang mit der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen stehen sowie
- Wertpapier- und Finanzanalyse oder sonstige Form allgemeiner Empfehlungen, die Geschäfte mit Finanzinstrumenten betreffen.
c. Zahlungskontodienste nach ZAG und Zahlungsdienste nach ZKG
Nach § 2 Nr. 24 lit. c) BFSG gelten auch Zahlungskontodienste i.S.v. § 1 Abs. 2 ZAG als Bankdienstleistungen. Hierunter werden Dienste verstanden, die Bareinzahlungen auf und Barauszahlungen von einem Zahlungskonto ermöglichen.
Ebenso als Bankdienstleistungen gelten gem. § 2 Nr. 24 lit. d) BFSG Zahlungsdienste i.S.v. § 2 Abs. 2 ZKG, d.h. also Dienste im Zusammenhang mit der Eröffnung, Führung oder Schließung eines Zahlungskontos einschließlich Zahlungsdiensten und Zahlungsvorgängen, die unter Art. 3 Buchst. g RL 2007/64/EG fallen.
d. E-Geld
Schließlich wird nach § 2 Nr. 24 lit. e) BFSG auch E-Geld als regulierte Bankdienstleistung erfasst. E-Geld ist dabei gem. § 1 Abs. 2 S. 3 ZAG jeder elektronisch, darunter auch magnetisch, gespeicherte monetäre Wert in Form einer Forderung an den Emittenten, der gegen Zahlung eines Geldbetrags ausgestellt wird, um damit Zahlungsvorgänge i.S.v. § 675f Abs. 4 S. 1 BGB durchzuführen und der auch von anderen natürlichen oder juristischen Personen als dem Emittenten angenommen wird.
3. Anforderungen zur Gewährleistung der digitalen Barrierefreiheit
Finanzdienstleister, deren Dienstleistungen nach § 3 Abs. 1 S. 2 BFSG barrierefrei zu erbringen sind, haben verschiedene Pflichten nach dem BFSG zu erfüllen. Die wichtigsten Pflichten zur Gewährleistung der digitalen Barrierefreiheit sind:
- Erfüllung der allgemeinen Anforderungen der BFSGV (§ 3 Abs. 2 BFSG i.V.m. § 14 Abs. 1 Nr. 1 BFSG),
- Erstellung und Aufbewahrung von bestimmten Informationen während des Angebots oder der Erbringung der Dienstleistung (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 BFSG): Das bedeutet, dass der Dienstleistungserbringer in seinen AGB oder auf andere deutlich wahrnehmbare Weise angeben muss, wie er die Barrierefreiheitsanforderungen erfüllt,
- Webseiten und mobile Apps müssen auf konsistente und angemessene Weise wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust gestaltet werden (§ 12 Nr. 3 BFSGV): Diese Anforderungen führen im Ergebnis dazu, dass sich die Anforderungen der BFSGV auf die gesamte Webseite erstrecken, sobald diese auch nur eine Dienstleistung enthält, die dem BFSG unterliegt,
- Enthält eine Webseite Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr, sind die Bestimmungen der § 13, 15, 19 BFSGV einzuhalten.
4. Abweichung von den Anforderungen der Barrierefreiheit
Das BFSG enthält verschiedene Bestimmungen, mit deren Hilfe von den Anforderungen der Barrierefreiheit zumindest teilweise abgewichen werden kann. Dies sind vor allem die nachfolgenden Bestimmungen:
a. Wesentliche Änderung der Dienstleistung (§ 16 Abs. 1 S. 1 BFSG)
Eine zumindest teilweise Abweichung von den Anforderungen der Barrierefreiheit sieht § 16 Abs. 1 S. 1 BFSG vor, wenn die Einhaltung der Anforderungen der Barrierefreiheit zu einer wesentlichen Änderung der Dienstleistung führt. Dies bedeutet, dass die Anforderung der Barrierefreiheit die Dienstleistung in einem solchen Ausmaß beeinflussen muss, dass hiermit nicht mehr der intendierte Zweck der Dienstleistung erreicht werden kann (vgl. hierzu auch Kapoor/Klindt, NJW 2024, S. 3545 ff., S. 3549).
Mit Blick auf diese Abweichungsmöglichkeit ist zu beachten, dass die vorstehende Beurteilung vom Unternehmen selbst durchzuführen und zu dokumentieren ist. Ferner ist die Dokumentation für 5 Jahre aufzubewahren und die entsprechenden Marktüberwachungsbehörden zu unterrichten (§ 16 Abs. 2 und 3 BFSG).
b. Unverhältnismäßige Belastung des Unternehmens (§ 17 BFSG)
Nach § 17 Abs. 1 S. 1 BFSG darf die Einhaltung der neuen Barrierefreiheitsanforderungen nicht zu einer unverhältnismäßigen Belastung führen. Anlage 4 des BFSG gibt dabei vor allem drei Kriterien für die Bewertung zum Vorliegen einer unverhältnismäßigen Belastung vor:
- Verhältnis der Nettokosten für die Umsetzung der Barrierefreiheitsanforderungen zu den Gesamtkosten für die Erbringung der Dienstleistung
- Verhältnis der geschätzten Kosten und Vorteile für das Unternehmen zu dem geschätzten Nutzen für Menschen mit Behinderungen
- Verhältnis der mit der Einhaltung der Barrierefreiheitsanforderungen verbundenen Nettokosten zum Nettoumsatz des Unternehmens
Maßgeblich kommt es darauf an, ob eine zusätzliche übermäßige organisatorische oder finanzielle Belastung für das Unternehmen besteht und es diesem nach vernünftigem Ermessen nicht möglich wäre, eine oder mehrere der neuen Barrierefreiheitsanforderungen vollumfänglich anzuwenden (vgl. hierzu auch Kapoor/Klindt, NJW 2024, S. 3545 ff., S. 3549).
Auch insoweit muss das Unternehmen diese Beurteilung selbst vornehmen, dokumentieren und die entsprechenden Marktüberwachungsbehörden unterrichten (§ 17 Abs. 2 bis 4 BFSG).
5. Fazit
Bei einer immer älter werdenden Gesellschaft ist die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen, die über das Internet oder über mobile Apps angeboten werden, ein wichtiges Ziel. Die Anforderungen an die digitale Barrierefreiheit sind allerdings recht hoch und die Bestimmungen kompliziert gefasst.
Wir stehen bei der Begleitung der Umsetzung der digitalen Barrierefreiheit, aber auch bei einer Abweichung von den Anforderungen der digitalen Barrierefreiheit beratend zur Verfügung. Sie können uns insoweit jederzeit gerne ansprechen.
Dr. Ingo Janert (Stand: 19. Februar 2025, Bild von vocablitz auf Pixabay)